Poesie im spielfreien Rundlauf

Veranstaltung am 14.9.2008 / Schweinfurter Dichter-Schlachtschüssel

Torpedo-Dreigang

Schweinfurt. Da denkt der Herr Ingenieur doch sofort an weich schnurrende Kugellager in der ewigkeitserprobten Torpedo-Nabe. Mich aber lockt diesmal der Open-Air-Poetry-Slam der Dichter-Schlachtschüssel in die Fränkische Tüftlermetropole.

Auch Schüssel-Chef Manfred Manger hat so einiges auszutüfteln, denn am aus dem Juli in den September verschobenen Slamtermin leuchtet zwar die Abendsonne, bringt aber draußen vor dem Ebracher Hof keine auch nur annähernd zum Stillsitzen taugliche Temeratur mehr zustande. So wird das Schüsselschlachten in die eher gediegen wirkende Gaststube verlegt, wo sich das Publikum architekturbeding vor, seitlich, hinter und unter dem Sprecherplatz arrangiert, der zudem nach vorn durch ein Balkongeländer abgezäunt ist. Auch dass hinter dem Mikrofon ein mannshoher Sparkassen-Sponsorenwimpel flattert und auf den Tischen O2-Bonbons liegen ist in der sonst kommerzallergischen Slam-Welt eher ungewöhnlich.

Um halb neun haben sich vor dieser Kulisse schließlich sieben Dichter und ein etwa vierzigköpfiges Publikum versammelt, in dem die gut trainierte Schüler-Slam-Szene den Ton angibt.

Leider sind die auswärtigen Poeten ebenso unberechenbar wie das Wetter; eine ganze Reihe sagt kurzfristig ab oder tritt ohne Nachricht nicht an. Ein Glück also, dass Christian Ritter sich auf der Reise zwischen Würzburg und Bamberg zu einem Slam-Stopover überreden lässt. Ob dieses Spontaneinsatzes ohne gedruckten Text unterwegs, darf er mit dem Notebook auf die Bühne.

Michael Feindler schafft dann gleich in der ersten Runde den Dichter-Hattrick: (1) Unverbrauchte, tragfähige Themen in (2) geschliffener Sprache – und zwar (3) lebendig vorgetragen. Das Publikum kreuzt per Stimmzettel Michael und mich ins Finale, wo sich aus der zweiten Runde noch Dauerfinalist Ritter und das Schweinfurter Team „Top 2“ hinzugesellen. Als dann schließlich das Publikum kleine Porzellanschweine austeilt, machen die Vertreter der ersten Lebenshälfte die Sache unter sich aus und Michael reckt verdient die goldene Schüssel zum überdachten Dichterhimmel.

Alles in allem ein Poetry Slam wie ein gutes Kugellager: Auch unter Belastung rund (aber nicht heiß) laufend, ein bisschen geschmiert und durch gute Pflege sehr dauerhaft.

Ich erlebe am nächsten Morgen um sechs dann doch noch ein weiteres Mal fränkische Präzision, als meine Rückreise trotz knapper Transfertoleranzen zwischen Bus, Regionalzug und ICE präzise so abläuft, wie am Abend zuvor vom Computer prophezeit.

Bänkelsänger 2008

Veranstaltung am 13.9.2008 / Anderart-Festival, Odeonsplatz, München

Laubblaeser

„Typisch München? Typisch anders!“ Das „AnderArt-Festival“ soll im Rahmen des Münchner Stadtgeburtstags auf dem Odeonsplatz eine Open-Air-Bühne für die kulturelle Vielfalt der Stadt bieten. Auch die Slam-Poesie soll da ein paar Gedanken zu Stadtgeschichte und Migration beitragen.

„Bei freiem Eintritt und bei jedem Wetter“ – das waren dabei die beiden wichtigsten Werbeargumente des Münchner Kulturreferats. Leider erweist sicht nur das erste als wirklich zugkräftig. Der Münchner Sommer verweigert sich nämlich ebenso plötzlich wie vollständig und katapultiert die gefühlte Jahreszeit auf etwa Ende Oktober nach vorn. Die riesengroße offene Bühne tut das ihre dazu: „Poesie im Gefrierfach“ wäre ein passender Konzept-Titel gewesen. Die Veranstalter haben sich aber entschlossen, das einstündige Slam-Poetry-Programm unter dem Arbeitstitel „Bänkelsänger 2008“ anzukündigen.

DJ Rayl Patzak und MC Ko Bylanzky leisten folglich erst einmal ein wenig Aufklärungsarbeit. Anschließend wird Sturm-und-Slam-Dichter Bumillo losgelassen, der wortgewaltig erklärt, wie die Zuagroasten an München erst erstaunen, dann verzweifeln und schließlich aber doch ankommen können. Unglaublich, wie viele Ideen aus diesem erklärten „Live-a-holic“ heraussprudeln. Vor allem, wenn man bedenkt, dass er gegenwärtig auch an seiner Magisterarbeit im Fach Theaterwissenschaften schreibt. Ich würde da innerhalb kürzester Zeit in der Wortschatz-Erschöpfung steckenbleiben.

Dann darf ich ran. Die Aussicht von der Bühne direkt vor der Feldherrnhalle auf die Leopoldstraße ist atemberaubend. Ich bekomme irgendwann doch wieder Luft und trage zunächst mit „Der letzte Freie“ meine Ballade über die Mikromigartion der Einkaufspendler und deren Verdrängungswettbewerb um den letzten freien Parkplatz am Stachus vor. Es folgt die Beziehungsbilanz mit meiner Freundin München. Zum Schluss muss der Laubbläser ran, der dank reichlicher Verstärkung auf dem Odeonsplatz eine ungeheure Akustik entwickelt.

Dritter in der Bänkelsänger-2008-Runde ist Heiner Lange; der wird zunächst „Der kleine Dichter, der die Stadt schön machen will“, um dann als „Backpacker“ mit den globetrotteligen Rucksacktouristen der Lonely-Planet-Sekte abzurechnen.

Als besonderes Kunst-Crossover-Konzept tobt sich Graffiti-Künstler Robert Kaltenhäuser während der Performances live mit der Spraydose auf der Bühne aus. Eine – wie sich schnell herausstellt – grandiose Idee, denn zum einen hilft die großflächige Malerei, den gigantisch großen Bühnenraum zu füllen, in dem ein einzelner Poet sonst schnell verloren wirken würde. Vor allem aber hat sich Robert mit ebenso viel Aufwand wie Ideen auf die Texte vorbereitet. So zaubert er neben seinen spontanen Formen auch vorbereitete Elemente auf die Leinwand. Bumillo bekommt eine übergroße „Süddeutsche Zeitung“, die genau in der Choreografie seines Textes aufgeblättert wird. Bei mir gibt es eine fast schon daumenkinoartige Laubbläser-Bildfolge, von der hinterher das ganze Publikum schwärmt. Ich selber bekomme auf der Bühne in meiner Gebläse-Verrohung leider überhaupt nichts davon mit.

Kongeniales Meisterstück der Wortmalerei wird aber zum Schluss die Lange-Kaltenhäuser-Performance von „Mal mal“ – Heiner Langes dadaistische Annäherung an die Bob-Ross-Malerei, in deren Verlauf jedes der Bilder aus dem Text Sekunden später auf der Leinwand zu sehen ist.

Es gibt einen netten Ausklang bei aus öffentlichen Mitteln subventioniertem Bier inmitten des wirklich multikulturellen Ambientes aus asiatischem Essen, italienischer Architektur, afrikanischen Rhythmen und sibirischem Klima. Vielen Dank also an das Kulturreferat als Veranstalter und an dessen hauseigene Techniker für eine ganz außergewöhnlich poesietaugliche Großbeschallung – vor allem aber an das frost- und wasserabweisende Publikum.

Physi-Kabarett: „Science Busters“

Veranstaltung am 11.9.2008 / Science Busters, Lustspielhaus, München
Schaltplan Funkeninduktor
Endlich, endlich, verschaft einmal jemand meinem Studienfach seinen Platz auf der Bühne. Physikalisches „Edutainment“ hat sich das Wiener Trio der „Science Busters“ auf die Fahnen geschrieben. Und sich als Thema des Abends – schon des Datums wegen – die Verschwörungstheorien vorgenommen.

Die Besetzung verspricht Kompetenz in Unterhaltung und in Physik: Denn mit Martin Puntigam tritt ein vielfach ausgezeichneter Kabarettist auf die Bühne, dem mit Professor Heinz Oberhummer und Univ. Lekt. Werner Gruber zwei echte Physik-Dozenten der Wiener Universitäten zur Seite stehen. In dieser Echtheit liegt aber auch das große Problem des Abends: Die beiden Wissenschaftler sind nämlich auf der Bühne genauso echt wie im Hörsaal. Der konzeptionelle Unterschied zu einer gewöhnlichen Vorlesung besteht also nur in Puntigam, der als Moderator den Abend vorwärts treibt und den Dozenten mit bösen Fragen und spitzen Kommentaren in die Paraden fährt.

In vorlesungsbewährter Weise bewegen sich alle drei zwischen Leinwand, Pult und Experimentiertisch. Manchmal gelingen dort experimentelle Geniestreiche, wenn etwa Gruber mittels Sand, Papp-Astronauten und dem Theaterlicht beweist, dass auch im Sonnenlicht nicht alle Schatten gleich sind – und so in der Sandkiste eine der impertinentesten Verschwörungstheorien zur Mondlandung der Amerikaner widerlegt.

In anderen Augenblicken aber wird großer Aufwand mit wenig Wirkung betrieben – z.B. indem in einer infernalisch lauten Filmeinspielung der nackte Arnold Schwarzenegger als Muster-Außerirdischer über die Leinwand grunzt. Entsprechend unterschiedlich bleibt der Lerneffekt: Einiges ist auch für unvorbelastete Beobachter zu verstehen, andere Themen sind so gewählt, dass sie in einem Atemzug auch gar nicht verständlich zu erklären sind. Und manches ist auch nur als Schock- und Ekel-Effekthascherei zu begreifen.

Nach den Maßstäben der Unterhaltung beginnt irgendwann die Beweglichkeit und Wandelbarkeit der Figuren zu fehlen. Gruber doziert stets raumgreifend, Puntigam spöttelt unentwegt und Oberhummer hält sich mit klugen, aber seltenen Beiträgen sehr im Hintergrund. Das ist schade, denn eigentlich böten die häufig diametralen Weltsichten von Physikern und „normalen Menschen“ reichlich Gelegenheit, Konflikte auszutragen.

So werden die behandelten Verschwörungstheorien vom Blutwunder über den 11. Sptember bis zur Auslösung des Weltuntergangs im CERN nur von ihrer technischen Seite betrachtet. Ihr schillerndes Wechselspiel aus wissenschaftlicher Ahnungslosigkeit und menschlichen Urängsten bleibt weitestgehend außen vor. Auch der Umstand, dass sich mit Oberhummer ein Theoretiker und mit Gruber ein Experimentator gegenüberstehen und sich diese Spezies in freier Physiker-Wildbahn stets höchst skeptisch als „substanzlose Spinner“ bzw. „ideenlose Klempner“ betrachten, wird nur am Rande thematisiert.

Nachdem sich Rauch und Flammen der Schlussnummer verzogen haben, gibt es vom Publikum – in dem diesmal erstaunlich viele blässliche Brillenträger zu finden sind – einen sehr dankbaren Applaus. Physik und Unterhaltung müssen sich also doch nicht abstoßen wie zwei gleich geladene Teilchen. Womöglich könnten beide Disziplinen aber noch von interessanteren Bühnenfiguren, einem didaktischen Konzept und einer stärkeren Verflechtung mit dem „unwissenschaftlichen Denken“ profitieren.

Blickpunkt Rockt.

Veranstaltung am 8.9.2008 / Blickpunkt Spot, Vereinsheim, München

Vereinsheim-Logo Am Samstag noch banges Zittern um das Publikum – am Montag muss ich eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn schon wieder drängeln, um noch zum Blickpunkt Spot ins Vereinsheim hinein zu kommen.

Nach der rituellen Schwabinger-Krawall-Verlesung von Michi Sailer gelingt es Chris Böttcher, ein Duett von Carla Bruni und Nicolas Sarkozy ganz allein auf die Bühne zu bringen.

Dann klettert zu meiner persönlichen Freude mit Kathinka Budenkotte eine Weggefärtin des Poetry Slams auf die Bühne. Und erläutert in großen Bildern ihr Konzept des ultimativen Französichen Autorenfilms.

Julia Jahn, Vereinsheim-Bookerin und somit Barkeeperin des Blickpunkt-Kleinkunst-Cocktail-Mix hat just an diesem Abend Geburtstag. Ich stehe auf der Wunschliste; und weil sie unvorsichtiger Weise den schwarzen Panther als ihr Lieblingstier geoutet hat, darf dieser endlich einmal selbst zu Wort kommen und mit dem üblen Klischee abrechnen, dass ihm ein gewisser Rainer Maria R. vor geraumer Zeit schon angehängt hat. Moses Wolf setzt noch einen Julia-Rap obendrauf auf den Gabentisch.

Anschließend röhrt und säuselt Elli los und weckt den bis dato noch etwas verhaltenen Saal auf. Die Begeisterung – und die Styling-Verwandtschaft mit großen Teilen des Publikums – lassen vermuten, dass vor allem sie das urlaubs-untypische Gedränge im Saal zu verantworten hat.

Georg Koeniger trommelt virtuos ein Fußballspiel auf einem imaginären Schlagzeug. Den Abschluss macht Claus von Wagner mit einem Bühnen-Stopover auf dem Weg in den Scheibenwischer. Endlich wieder wirklich politisches Kabarett, das den StaatsträgerInnen mit Erinnerungen an deren unerfüllten eigenen Anspruch auf die Finger klopft, anstatt sie wie sonst so häufig nur als Klischeefiguren für überparteiischen Ulk zu benutzen. Bei alledem auch noch wirklich unbelehrend unterhaltsam, geistreich und in der Wirkung spontan – Kaktus, Beil, Stier und diverse andere Kleinkunsttrophäen sind zu Recht bei diesem Herrn abgeladen worden.

Fazit: Ein (wieder einmal) sehr bunter Abend mit gegen Ende kaum noch Luft zum Sprechen, in dem es diesmal alle Akteure ohne Gitarre etwas schwerer hatten als sonst.

Westend ist? Kiez im Urlaub.

Veranstaltung am 6. 09. 2008 – Westend ist Kiez, Stragula, München.

Foto: Sacha Storz
Verflixt, was soll man denn als Künstler im Sommer für sein Publikum tun? Ihm hinterherreisen? Oder sich selbst verzweifelt ins Nichtstun stürzen? Am gewittrigen Lesebühnen-Samstag befindet sich um sieben Uhr niemand in der Realwirtschaft Stragula, der für seine Anwesenheit nicht bezahlt würde. So ein Eindruck weckt die in jedem Literaten schlummernde große Sinnfrage auf, die erst einmal mit einem Menü aus der unterforderten Küche wieder durch träge Sattheit beruhigt werden muss.

Dann aber verdunkelt sich der Himmel und die Stimmung hellt auf: Das Urlaubsbewährte Last-Minute-Konzept scheint sich auch bei den Lesebühnengängern etabliert zu haben, und als gegen halb neun Volker Keidel erklärt, wie sehr das richtige Shampoo das ganze Leben verändern kann, ist von der Bühne aus zumindest kein unbesetzter Tisch mehr zu sehen.

Mit Volker, Fabian Siegismund, Felix Bonke und mir stehen diesmal nur vier Autoren auf der Bühne – aber Moderator Ko Bylanzky gelingt es, das Publikum mit dem Jetzt-noch-mehr-Inhalt-zum-gleichen-Preis-Slogan zu ködern: Wir treten alle dreimal an und steigern so die Anzahl der Geschichten von zehn auf zwölf.

Meine Lieblingsgeschichte aus der Zwölferrunde stammt von Felix Bonke: Ein von der avisierten Freundin mit ganz expliziter Begründung abgelehnter Charakter-Defizitär stolpert, angelockt von der „Wir ändern alles“ Werbung, in eine Änderungs-Schneiderei, um gleich einmal sein Leben ändern zu lassen. Die resultierenden Veränderungen sind wahrhaft dramatisch. Den Werbeslogan gibt es gleich um die Ecke tatsächlich, aber ich werde nach Felix‘ eindringlicher Warnung vorsichtig mit diesem Angabot umgehen.

Darüber hinaus lerne ich von Fabian, wie sehr der unvorsichtige Kauf von Toilettenpapier den Eindruck der Männlichkeit untergraben kann. Aber verflixt – die Lektion kommt knapp zu spät, denn ich habe wenige Stunden zuvor von der sorgfältigen Auswahl der Sorte bis zum unverüllten Heimtransport (mit Fahrradhelm) so ziemlich alles falsch gemacht. Ob das mit dem Mann-Sein bei mir je noch klappt?

Auch ohne Gedränge entsteht durchaus Stimmung im Saal – vor allem die in Stammtischstärke angereiste „Brigada Bavaria“ aus HSV-Fans in der Münchner Diaspora erzeugt auf der Bühne deutlich spürbare Rückmeldung.

Ich schwadroniere über meine durch Versicherungen ausgelöste Verunsicherung, polemisiere über die Urlaubsinstinkte und darf dann in Runde drei ein zweites Mal auf der Spielzeuggitarre den Isar-Grillern huldigen.

Um elf ist es dann vorbei, der Saal ist immer noch gefüllt und ich hatte den Eindruck, alle sind zufrieden heim gezogen.

Fotocredit: Sacha Storz, Westend ist Kiez

Blickpunkt Spot in Urlaubsausklangstimmung

Veranstaltung am 1.9.2008 / Vereinsheim, München

Vereinsheim-Logo September – Der Sommer beginnt insgesamt zu schwächeln – und sogar der Blickpunkt Spot, bisher konditionsstarker Sommerloch-Überbrücker im Münchner Vereinsheim zeigt so etwas wie postferiale Erschöpfung: Diesmal ist es nicht ganz so voll, nicht ganz so heiß, nicht ganz so wild wie bei meinem letzten Gastspiel. Ich will eigentlich auch nur still zusehen, darf dann aber kurzfristig doch die humoristische Lücke eines Urlaubsausfalls auf der Bühne auffüllen.

Alles beginnt mit „Stargast“ Florian Schroeder, den man sich vor seinem eigenen Soloprogramm für eine Viertelstunde aus dem Lustspielhaus ausgeliehen hat. Routinierte, ansprechende Comedy – mit Politikern, aber nicht wirklich politisch.

Höhepunkt des Abends ist für mich der Auftritt von Stefan Straubinger. Der wird als bayerischer Volksmusiker angekündigt, packt dann aber mit einer Drehleier und einem Bandoneon nicht wirklich gängige Accessoires dieses Genres aus. Und fegt mit diesem Instrumentarium unter bodenständig klingenden Titeln wie „Jodler“ oder „Zwiefacher“ derart fulminant durch Rock, Jazz und Tango Nuevo, dass man darüber zu grübeln beginnt, ob Keith Richards und Astor Piazzolla nicht zumindest ein Ferienhaus in Bayern gehabt haben müssen.

Das bis dato eher noch urlaubsverkaterte Publikum ist völlig aus dem Häuschen. Moderator Hannes Ringlstetter ordnet von Amts wegen eine Zugabe an. Ich lasse mir hinterher die Drehleier erklären, ein Instrument, das ich bisher als eher behäbig jaulenden Mittelalter-Leierkasten kennen gelernt habe. Stefans Leier aber ist auch technisch im 21. Jahrhundert angekommen: Unter dem Holz verleihen Polyamid-Lager, Körperschall-Pick-up und high-tech-Kunststoffe dem Instrument seine ganz neuzeitliche Agilität und Dynamik.

Des weiteren singen Rickie Kinnen und Kathie Kleff (hintereinander und mit jeweils eigener Männerbegleitung) von der Liebe (ich bin aber unmittelbar vor meinen eigenen Auftritten für’s Sentimentale nie so richtig empfänglich). Irgendwann bin auch ich an der Reihe und Packe mit der „Stimmungsschwankung“ und „Den Butt“ kurzfristigkeitsbedingt zwei alte Schlager aus.

Blickpunkt-Institution Michael Sailer lässt anschließend gewohnt schüchtern-charmant mit stiller, aber erbarmungsloser Sprache seine Schwabinger-Krawall-Protagonisten wieder einmal in wahrlich apokalyptische Verhältnisse hineinstolpern.

Zum Abschluss rückt dann aus der Lach- und Schieß noch Martin Großmann an und teilt Tips für den Haushalt aus: Er erklärt in dramatischer Weise, wie man einen festgesaugten Tintenfisch von der Platte des heimischen Esstisches löst.

Schlussapplaus. Licht an. Alle sind irgendwie zufrieden, aber der übliche euphorische Nachspiel-Exzess bleibt aus. Die Akteure müssen durch die Bank zeitig ins Bett. Wird Zeit, dass sich alle wieder vom offenbar anstrengenden Urlauben erholen.

„Wenn alle Stricke reißen …

Marc Uwe Kling, Pressefoto… kann man sich nicht mal mehr aufhängen“. Folgert Marc-Uwe Kling ebenso logisch wie erbarmungslos im Titel seines ersten Kabarett-Solos. Gesehen habe ich es in der Münchner Lach & Schieß-Gesellschaft (Weitere Termine hier. ).

Ich kenne Kling bisher aus dem Poetry Slam, wo er als zweifacher deutschsprachiger Slam-Champion schon zu Lebzeiten Legende geworden ist.

Wie der Titel schon andeutet, spannt Marc-Uwe einen weiten Bogen der Zerreißproben: Er beginnt beim Abendessen unterm Weihnachtsbaum (und dessen Wiederholung als digitale Aufzeichnung am 1. Feiertag), zieht durch die verschleckert-gleichgeschalteten deutschen Fußgängerzonen hinauf in die Vorstandsetagen und Parlamente, klopft einmal kurz bei Gott selbst an und kehrt dann wieder nach Hause zurück.

Unterwegs trifft er auf Papas neue Digitalkamera, erforscht die Generation Praktikum, kämpft gegen intelligente Maschinen (und deren Lizenzvereinbarungen), erörtert die bundespräsidiale Order nach „Vorfahrt für Arbeitsplätze“ im Sinne der Straßenverkehrsordnung und tröstet sexuell ausgebeutete Ausbeuter-Töchter. Dabei stellt er als unerbittlicher Beobachter und Radikalmoralist vom Familien- bis zum Staatsoberhaupt jedwede Autorität in Frage – inklusive seiner eigenen auf der Bühne. Es entsteht so das gleichermaßen bittere und doch brüllend komische Bild einer Welt, in der der „Fortschritt“ im Wesentlichen den Verlust aller Orientierung und Verlässlichkeit bedeutet.

Bei alledem gelingt ihm das Kunststück, die Welten von Weihnachtsbaum, Wirtschaftslenker und Wahlversprecher immer miteinander verwoben zu halten. Das beweist zum einen elegant, wie sehr das private politisch ist – und das politische ebenso privat. Vor allem aber erspart es das anstrengend-selbstgerechte Auf-Die-Da-Oben-Zeigen anderer Weltverbesserer. Klings Zuhörer entdecken den Untergang des Abendlandes gleich in der eigenen Wohnung. Oder sogar im eigenen Kopf.

Ebenso abwechslungsreich wie Klings Themen ist sein Vortrag: Zwischen freien Moderationen und in Erzählerrolle vorgetragenen Prosatexten oder Gedichten spielt er quasi nebenbei noch Klavier und Gitarre zur Begleitung seiner Lieder, die gekonnt zwischen Jazz, Gospel und Liedermacherei wechseln.

Im Kontrast zu dieser Vielseitigkeit ist seine Bühnenfigur ruhend, beinahe statisch: Angestrengte Hysterie gibt es ebenso wenig wie irgendeine andere albern überzogene Darstellung. Die Lieder und Texte haben so etwas bei ihrer sprachlichen Stärke und Versiertheit auch gar nicht nötig. Einziges alter ego Klings ist die Figur seines „Mitbewohners“, eines latent gewaltbereiten Kängurus mit erklärt kommunistischer Weltanschauung, das ihn aus all seinen Geschichten herausboxt, die allein mit Diplomatie nicht mehr aufzulösen sind.

Insgesamt entsteht ein höchst intelligenter wie unterhaltender Abend aus privat-politisch-poetischem Kabarett mit ganz unverbrauchten Themen und Stilen. An dessen Ende Marc-Uwe Kling sein Publikum dann mit versöhnlichen Tönen nach Hause entlassen möchte, indem er anhand einer halb verwesten Fischkonserve aus dem Kühlschrank singend die Einsicht vermittelt, dass es Wesen gibt, denen noch übeler mitgespielt wurde als der geschundenen Menschheit.

Das Publikum wird sich auch prompt seiner privilegierten Situation bewusst und scheint jegliches Interesse am Heimgehen verloren zu haben. So muss nach einem Zugabenmarathon das Ende der Veranstaltung schließlich zwangsweise per Saalbeleuchtung herbeigeführt werden. Immerhin können sich die ganz unersättlichen am Ausgang mit einer CD des Programms trösten.

Power to the Bergbauer: Der Watzmann ruft

Der Watzmann ruft„Hollaröhdulliöh!“ Der Watzmann ruft. Mich einmal wieder als Zuschauer ins Lustspielhaus, wo das „Rustical“ um besagten Berg derzeit auf dem Spielplan steht.

Was passiert? Berg (steil) ruft. Männer (geil) hören, kraxeln und sterben. Das wäre als bekannter Tatbestand zahlloser Heimatfilme nicht weiter neu – wenn nicht das Komponistentrio Wolfgang Ambros, Manfred Tauchen und Joesi Prokopetz genau dieses Genre mit Lachsalven unter Feuer nehmen und mit böser Ironie querbeet durch das gebirgige Brauchtumsklischee klettern würden.

So geht am Berghang eine Lawine sämtlicher einschlägigen Schicksals-, Romantik- und Naturstereotypen ab, in deren Verlauf die Besteigungsgelüste der Berganwohner durch die unzweideutige Ankündigung der üppigen „Gailtalerin“, jeden Watzmannbezwinger auch auf ihren weiblichen Gipfeln jodeln zu lassen noch weiter befeuert werden. Keine guten Überlebenschancen also für die von Berg und Busen getriebenen.

Komponist Tauchen steht selbst noch mitten im Spektakel und spielt in mehren Rock- und Lederhosenrollen furios sein Spektrum absurder Figuren aus. Ihm zur Seite steht – abwechselnd als Sohnemann und Liebhaber – Nepo Fitz als Bua, den er bravourös als naiv-eitelen Strahlemann untergehen lässt. Begleitend tanzt drumherum ein beinahe unterfordert erscheinendes Mägdtetrio ein freizügig modernisiertes Volkstanzprogramm und Hannes Ringlstetter lässt als singender Knecht erahnen was herauskäme, wenn man Mick Jagger mit multiplem Discusprolaps in einen Hühnerstall sperren würde.

Gegenüber der von mir vor Jahren besuchten Vorgänger-Inszenierung haben die neuen Bergbesinger vor allem in Punkto musikalischer Perfektion noch einmal zugelegt. Zu sehen gibt es jetzt eine sympathisch handgreifliche Inszenierung, bei der sich das Ensemble dennoch singend und spielend stets auf hohem Niveau bewegt. Das zweistündige Bergspektakel vor der Caspar-David-Friedrich-Fototapete hat vom Live-Rock der vierköpfigen Hühnerband bis zum Cancan des Dirndlballets alles, was ein Musical braucht – und ist dann aber eben doch keins.

Das Publikum darf als Echo und als Bergpanorama mitwirken und hat bei allem ganz großes Vergnügen – und zwar ohne den anschließenden Kulturkater seicht-schwulstiger Musicals. Ein Ereignis also, das auch ohne seinen selbstverständlichen Kultstatus einen Besuch wert wäre.

Blickpunkt Spot – richtig heiße Sache.

Veranstaltung am 18. 08. 2008 – Vereinsheim, München.

Are you ready to rock?Liebe Drin- und In-Seier: Vergesst das P1 und das Pacha – Münchens härteste Tür findet sich ab sofort vor dem Schwabinger Vereinsheim. Befeuert von einem der in München ubiquitären Lärmschutz-Scharmützel kommt dort nämlich (zumindest während lautstarker Programmsequenzen) garantiert gar niemand hinein. Damit nämlich auch gar kein Geräusch hinaus kommt. Endlich also auch für reiche, schöne und prominente eine Gelegeheit, sich die Nase an der Scheibe platt zu drücken.

Drinnen entwickelt sich in diesem abgeschlossenen Biotop derweil eine Atmosphäre wie in einem Dampfkochtopf ohne Sicherheitsventil. Das ist aber womöglich gar nicht so verkehrt – schließlich stehe ich mit einem bestenfalls halbgaren Kurzprogramm auf den Brettern und versuche, mit Unterstützung einer batteriebetriebenen E-Gitarre („empfohlen ab 8 Jahre“) den Grill-Archaikern am Isarufer ein musikalisches Denkmal zu setzen.

Drumherum habe ich viel Vergnügen an den anderen Akteuren des Abends, vor allem an den Pertussis, denen es zwanzig Minuten lang gelingt, den Saal in einer Ekstase aus Neugier, Überraschung und nackter Angst zu halten.

Außerdem stehen mit Silvana Prosperi und Thomas Busse von Faltsch Wagoni meine allergrößten Wortidole mit auf der Bühne. Ob es sich bei den beiden um Musiker, Sprecher oder Darsteller handelt muss in jedem Augenblick des Programms neu beantwortet werden. In einem kongenialen Zusammenspiels aus Bauchreden und Pantomime gelingt es den Wagonis dann sogar, doch noch geistreichen Saft aus der humoristisch ziemlich ausgepressten Mann/Frau-Nummer herauszuschleudern.

Das größte Kompliment aber geht an das trotz Biergarten-Pflichtwetters zahlreich angetretene Publikum, das die Begeisterung – sowie in Reihe 1-3 auch Schweiß und Tränen – mit den Akteuren teilt.

Apocalypse? Now?

Weltuntergänge kommen meistens unerwartet und werden von den betroffenen Welten in aller Regel auch im Nachhinein nicht hinreichend reflektiert. Ein Umstand, der dieser Blogbetrachtung besondere Bedeutung zukommen lässt.

Aber schön der Reihe nach: Der Autor kehrt nach einem längeren Arbeitstag heim und findet in der Küche ein Blutbad vor. Leuchtend rot tropft es von Kühlschrank, Kaffeemaschine und Toaster; auf dem Spültisch treibt eine große Lache gleicher Farbe.

In großen Maßstäben denkende Menschen des christlich-abendländischen Kulturkreises erinnern sich in solchen Situationen natürlich sofort an das apokalyptische Schlusskapitel der Bibel – Offenbarung 8, 7:

Der erste Engel blies seine Posaune. Da fielen Hagel und Feuer, die mit Blut vermischt waren, auf das Land.

Dann aber doch erste Zweifel: Warum sollte die Apokalypse ausgerechnet in einer Einbauküche losgehen? Und noch dazu, wenn keiner daheim ist und niemand es merkt?

Und schließlich bricht die naturwissenschaftliche Erkenntnis der Aufklärung durch: Am Vortag wurde bei der Inventur des Gefrierschranks in einem abgelegenen Winkel der untersten Schublade ein Ein-Kilo-Beutel „Feine Obstmischung mit Sauerkirschen“ aus dem guten Jahrgang 2001 entdeckt. Und dieser dann verschlossen auf der Spüle abgelegt, da der Inhalt gefroren nicht in die Komposttonne passen würde.

Offenbar hat im Inneren des Beutels unmittelbar nach dem Auftauen eine – sagen wir – „biochemische Reaktion mit Gasentwicklung“ eingesetzt, deren Zersetzungsgase irgendwann den Beutel gesprengt haben. Eine vorsichtige geruchliche Analyse untermauert diese Theorie. Eine haptische (das „Blut“ klebt sehr stark, gerinnt aber nicht) ebenfalls.

Das Ende der Welt ist also noch nicht erreicht und eine Reinigung des Schauplatzes folglich doch noch lohnend. Endet eigentlich jede große aufklärerische Erkenntnis damit, dass jemand aufwischen muss? Immerhin gibt es doch ein naturwissenschaftlich nicht erklärliches Schicksalszeichen: Der Beutel ist genau in Richtung der pflegeleichten Fliesenwand geplatzt und nicht in Richtung Flur. Ob das nun nun aber schon als Gottesbeweis durchgehen darf …