„Wenn alle Stricke reißen …

Marc Uwe Kling, Pressefoto… kann man sich nicht mal mehr aufhängen“. Folgert Marc-Uwe Kling ebenso logisch wie erbarmungslos im Titel seines ersten Kabarett-Solos. Gesehen habe ich es in der Münchner Lach & Schieß-Gesellschaft (Weitere Termine hier. ).

Ich kenne Kling bisher aus dem Poetry Slam, wo er als zweifacher deutschsprachiger Slam-Champion schon zu Lebzeiten Legende geworden ist.

Wie der Titel schon andeutet, spannt Marc-Uwe einen weiten Bogen der Zerreißproben: Er beginnt beim Abendessen unterm Weihnachtsbaum (und dessen Wiederholung als digitale Aufzeichnung am 1. Feiertag), zieht durch die verschleckert-gleichgeschalteten deutschen Fußgängerzonen hinauf in die Vorstandsetagen und Parlamente, klopft einmal kurz bei Gott selbst an und kehrt dann wieder nach Hause zurück.

Unterwegs trifft er auf Papas neue Digitalkamera, erforscht die Generation Praktikum, kämpft gegen intelligente Maschinen (und deren Lizenzvereinbarungen), erörtert die bundespräsidiale Order nach „Vorfahrt für Arbeitsplätze“ im Sinne der Straßenverkehrsordnung und tröstet sexuell ausgebeutete Ausbeuter-Töchter. Dabei stellt er als unerbittlicher Beobachter und Radikalmoralist vom Familien- bis zum Staatsoberhaupt jedwede Autorität in Frage – inklusive seiner eigenen auf der Bühne. Es entsteht so das gleichermaßen bittere und doch brüllend komische Bild einer Welt, in der der „Fortschritt“ im Wesentlichen den Verlust aller Orientierung und Verlässlichkeit bedeutet.

Bei alledem gelingt ihm das Kunststück, die Welten von Weihnachtsbaum, Wirtschaftslenker und Wahlversprecher immer miteinander verwoben zu halten. Das beweist zum einen elegant, wie sehr das private politisch ist – und das politische ebenso privat. Vor allem aber erspart es das anstrengend-selbstgerechte Auf-Die-Da-Oben-Zeigen anderer Weltverbesserer. Klings Zuhörer entdecken den Untergang des Abendlandes gleich in der eigenen Wohnung. Oder sogar im eigenen Kopf.

Ebenso abwechslungsreich wie Klings Themen ist sein Vortrag: Zwischen freien Moderationen und in Erzählerrolle vorgetragenen Prosatexten oder Gedichten spielt er quasi nebenbei noch Klavier und Gitarre zur Begleitung seiner Lieder, die gekonnt zwischen Jazz, Gospel und Liedermacherei wechseln.

Im Kontrast zu dieser Vielseitigkeit ist seine Bühnenfigur ruhend, beinahe statisch: Angestrengte Hysterie gibt es ebenso wenig wie irgendeine andere albern überzogene Darstellung. Die Lieder und Texte haben so etwas bei ihrer sprachlichen Stärke und Versiertheit auch gar nicht nötig. Einziges alter ego Klings ist die Figur seines „Mitbewohners“, eines latent gewaltbereiten Kängurus mit erklärt kommunistischer Weltanschauung, das ihn aus all seinen Geschichten herausboxt, die allein mit Diplomatie nicht mehr aufzulösen sind.

Insgesamt entsteht ein höchst intelligenter wie unterhaltender Abend aus privat-politisch-poetischem Kabarett mit ganz unverbrauchten Themen und Stilen. An dessen Ende Marc-Uwe Kling sein Publikum dann mit versöhnlichen Tönen nach Hause entlassen möchte, indem er anhand einer halb verwesten Fischkonserve aus dem Kühlschrank singend die Einsicht vermittelt, dass es Wesen gibt, denen noch übeler mitgespielt wurde als der geschundenen Menschheit.

Das Publikum wird sich auch prompt seiner privilegierten Situation bewusst und scheint jegliches Interesse am Heimgehen verloren zu haben. So muss nach einem Zugabenmarathon das Ende der Veranstaltung schließlich zwangsweise per Saalbeleuchtung herbeigeführt werden. Immerhin können sich die ganz unersättlichen am Ausgang mit einer CD des Programms trösten.

Power to the Bergbauer: Der Watzmann ruft

Der Watzmann ruft„Hollaröhdulliöh!“ Der Watzmann ruft. Mich einmal wieder als Zuschauer ins Lustspielhaus, wo das „Rustical“ um besagten Berg derzeit auf dem Spielplan steht.

Was passiert? Berg (steil) ruft. Männer (geil) hören, kraxeln und sterben. Das wäre als bekannter Tatbestand zahlloser Heimatfilme nicht weiter neu – wenn nicht das Komponistentrio Wolfgang Ambros, Manfred Tauchen und Joesi Prokopetz genau dieses Genre mit Lachsalven unter Feuer nehmen und mit böser Ironie querbeet durch das gebirgige Brauchtumsklischee klettern würden.

So geht am Berghang eine Lawine sämtlicher einschlägigen Schicksals-, Romantik- und Naturstereotypen ab, in deren Verlauf die Besteigungsgelüste der Berganwohner durch die unzweideutige Ankündigung der üppigen „Gailtalerin“, jeden Watzmannbezwinger auch auf ihren weiblichen Gipfeln jodeln zu lassen noch weiter befeuert werden. Keine guten Überlebenschancen also für die von Berg und Busen getriebenen.

Komponist Tauchen steht selbst noch mitten im Spektakel und spielt in mehren Rock- und Lederhosenrollen furios sein Spektrum absurder Figuren aus. Ihm zur Seite steht – abwechselnd als Sohnemann und Liebhaber – Nepo Fitz als Bua, den er bravourös als naiv-eitelen Strahlemann untergehen lässt. Begleitend tanzt drumherum ein beinahe unterfordert erscheinendes Mägdtetrio ein freizügig modernisiertes Volkstanzprogramm und Hannes Ringlstetter lässt als singender Knecht erahnen was herauskäme, wenn man Mick Jagger mit multiplem Discusprolaps in einen Hühnerstall sperren würde.

Gegenüber der von mir vor Jahren besuchten Vorgänger-Inszenierung haben die neuen Bergbesinger vor allem in Punkto musikalischer Perfektion noch einmal zugelegt. Zu sehen gibt es jetzt eine sympathisch handgreifliche Inszenierung, bei der sich das Ensemble dennoch singend und spielend stets auf hohem Niveau bewegt. Das zweistündige Bergspektakel vor der Caspar-David-Friedrich-Fototapete hat vom Live-Rock der vierköpfigen Hühnerband bis zum Cancan des Dirndlballets alles, was ein Musical braucht – und ist dann aber eben doch keins.

Das Publikum darf als Echo und als Bergpanorama mitwirken und hat bei allem ganz großes Vergnügen – und zwar ohne den anschließenden Kulturkater seicht-schwulstiger Musicals. Ein Ereignis also, das auch ohne seinen selbstverständlichen Kultstatus einen Besuch wert wäre.