Dschungelcamp im Wiener Wald

Christian Stückl inszeniert am Münchner Volkstheater Ödön von Horváth fürs Privatfernsehen.

7, 5 Millionen Zuschauer zum Auftakt der 9. Staffel von „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ können nicht irren? Das mag sich Christian Stückl gefragt haben, als er am Münchner Volkstheater die Inszenierung der jahrzehntelang in der gymnasialen Oberstufe verschlissenen „Geschichten aus dem Wiener Wald“ in die Hand nahm. Denn was es als Resultat auf der Bühne des Münchner Volkstheaters zu sehen gibt, setzt mit kompromissloser Konsequenz auf alle Elemente des Dschungelcamp-Erfolgsformats.

Ins Camp eingezogen sind die hinreichend bekannten C-Promis aus der Deutschstunde: Marianne (Lenja Schultze), bildungsferne Tochter aus dem Ein-Euro-Shop des Zauberkönigs (Jean-Luc Bubert), die im Kurz-Vorkriegsösterreich vor ihrer Verheiratung mit Oskar (Pascal Fligg), Metzger aus Leidenschaft, im letzten Augenblick in die Arme und Lenden des metrosexuellen Alfred (Max Wagner) flüchtet und ihre diesbezügliche Entschlossenheit mittels unehelichem Nachwuchs Leopold (nur akustisch wahrnehmbar) unterstreicht.

Für die pseudo-archaische Naturkulisse sorgt im Volkstheater die bühnenfüllende Waldidyll-Fototapete mitsamt vorgelagertem Teichfolien-Feuchtbiotop, in dem sukzessive das gesamte Ensemble baden geht und aus dem zwischendurch (Ekelprüfung) auch mal getrunken wird. In durchnässter Garderobe wird beim Planschen der ein oder andere Koitus angedeutet – gelegentlich auch mal mit entblößtem Busen, aber selbstverständlich doch stets fernsehgemäß in den Grenzen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Totale Nacktheit geht auch schon deshalb nicht, weil im Reality-TV ja alle Figuren stets so grell kostümiert sein müssen, dass sie auch im YouTube-Video auf einem Handybildschirm noch sicher auseinander zu halten sind – eine Anforderung, der die Volkstheater-Inszenierung (Bühne und Kostüme: Stefan Hageneier) mit einer Kostüm-Farbpalette quer durch das Sortiment aller handelsüblichen Textmarker bravourös nachkommt.

Als retardierende Momente des exhibitionistischen Spektakels gibt es einige – auch im TV immer wieder gern zwischengeschobenen – divergent talentierten Gesangseinlagen zur Klavierbegleitung.

So ist nach spätestens 15 Minuten klar: Horváths biederes Spießeridyll, dessen Bestialität der Zuschauer in der traditionellen Darstellung erst noch selbst nach und nach enttarnen muss, ist hier vom ersten Augenblick an eine Freakshow, deren Kandidaten sich mit allen Registern aus Hysterie, Zote und schwülen Andeutungen an den Zuschauer heranzuwerfen scheinen. Dementsprechend gibt es in den Figuren kaum mehr Geheimnisse zu entdecken und auch keine charakterliche Beweglichkeit. Horváths im Bürgergewand getarnte Monster wirken folglich in etwa so erschreckend, wie die elektrischen Zombies in der Geisterbahn und sogar Nachwuchs-Nazi Erich (Johannes Meier) verliert als sich ständig selbst herumkommandierender blondierter Pfadfinder mit Schusswaffe jede Bedrohlichkeit.

Im TV ist diese Berechenbarkeit ein entscheidendes Erfolgskriterium, um nach Bierhol-Auszeit oder anderer Bedürfnis­verrichtung nicht die gedankliche Wiedereingliederung ins fortlaufende Programm zu gefährden.  Im Volkstheater aber beginnt sich das Publikum nach etwa einer Stunde deutlich hörbar zu langweilen, weil sich der Herrenwitz-Marathon irgendwann totgelaufen hat und außerdem im Unterschied zum heimischen TV hier die Gelegenheit fehlt, nebenher zu bügeln oder Geschirr zu spülen. Die nach 90 Minuten recht plötzlich hereinbrechende Pause löst deshalb spürbare Erleichterung im Saal aus.

Anschließend gewinnt die österreichische Dschungel-Soap tatsächlich doch noch einmal an Kraft. Nach einiger Slapstick-Artistik an der bayerischen Bierbank steuert die Handlung unausweichlich auf Horváths demaskierendes Finale hin: Mariannes Kind wird sterben, weil seine entmenschte Großmutter (Ilona Grandke) es mutwillig der kalten Nachtluft aussetzt – ein Detail, das leider im Volkstheater untergeht und so den Blick darauf verstellt, mit welcher Grausamkeit sich die Großmutter mit ihrem autoritären Fazit „Wo kein Segen von oben dabei ist, das endet nicht gut und soll es auch nicht!“ selbst zum Vollstrecker ihres rachsüchtigen Gottes erklärt.

Als aber im inzwischen stark vermüllten Idyll schließlich alle um den leeren Kinderwagen herumstehen, ist es nach zwei Stunden Gebrüll, Geschepper und kleineren Detonationen plötzlich totenstill auf der Bühne – die grellen, lauten Figuren wirken im Angesicht der Katastrophe vollkommen hilflos überfordert und können gerade dadurch doch noch einmal anrühren. Schlussendlich landet Marianne so doch noch in den zupackenden Armen ihres beständigen Metzgers („Meiner Liebe entkommst du nicht!“), der ihr im Moment des finalen Blackouts leidenschaftlich in den Hals beißt.

Persönliches Fazit: Stückl inszeniert konsequent nach den Regeln des „Unterschichtenfernsehens“  – und fängt sich damit zwangsläufig alle Gemüts- und Geschlechtskrankheiten dieses Genres ein. Worauf sich leicht mit einigem Geschrei über die Profanisierung der Horváthschen Hochkultur reagieren ließe.

Sobald aber der erste Zorn verflogen ist, beginnt die Entdeckung, welche neuen Eindrücke aus der Verbindung der beiden Kulturwelten entstehen:  Der Zuschauer erwischt sich irgendwann selbst in der Rolle des schadenfrohen TV-Voyeurs mit der selbstgerechten Überzeugung, dass die eitlen und unsympathischen Fatzkes auf der Bühne es auch nicht anders verdient hätten. Und wird schlussendlich von der wahrhaften Tragik der Horváthschen Vorlage umso mehr getroffen.

Die Abscheu vor den sich völlig würdelos prostituierenden Figuren weicht dabei dem Respekt an das dahinter verborgenen Ensemble, das sich schonungslos allen physischen und psychischen Qualen des menschenverachtenden Reality-TV-Formats ausliefert und es womöglich gerade durch manches darstellerische Understatement fertig bringt, den Zuschauer irgendwann sein Abitur und den dahin führenden Deutschunterricht vergessen zu lassen.

Trotz der Umsetzung in einem Belanglosigkeits-Format: Belanglos ist der Abend im Volkstheater also ganz gewiss nicht. Über gewisse Strecken ist er sogar sehr unterhaltsam. Vielleicht lohnt es sich jedoch, für die 30 Minuten vor der Pause das Strickzeug mitzubringen.

Lebensbejahendes Todesprogramm: Endlich – Lieder für alle, die noch leben

Schauspieler, Regisseur und Autor, Liedermacher, Schwabinger Schaumschläger, Performancekünstler – Christoph Theussl (oder Theußl, niemand weiß bzw. weiss das so genau) ist ein vielseitiger Schöpfer und Darsteller. Sein neues Album jedoch, dass er am 18. September im Schwabinger Vereinsheim vorstellte, hat ein ganz klar gefasstes Thema: „Endlich – Lieder für alle, die noch leben“ macht konsequent da weiter, wo Pop und Schlager sonst ebenso zuverlässig aufhören. Der anfängliche Liebesrausch und die blühende Jugend interessieren nur am Rande, in Theussls Liedern geht es um das verblühende Leben und seinen unausweichlichen Abschluss: Den Tod.

Das klingt spontan beileibe nicht nach einer beglückenden Thematik. Welche aber gerade unter den Österreichern eine lange künstlerische Tradition hat – und weil es sich dort selbst in der Todes-Heimatstadt Wien doch offensichtlich vorzüglich leben lässt, scheint die Duzfreundschaft mit Gevatter Tod womöglich doch nicht unausweichlich in Trübsal und Depression zu zwingen. Wofür der Exil-Österreicher und Charakter-Wiener Theussl mit seinem Opus dann auch einen weiteren eindrucksvollen Beweis liefert.

Denn es gibt auf der Bühne kein Jammern und Wimmer zu hören: Wer allein dem Klang von Gitarre und Theussls runder und warmer Stimme lauscht, erlebt einen bunten Reigen ausgelassener und besinnlicher Stimmungen. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern und der Wiener Charme schmeichelt. Erst beim Begreifen der Texte bricht der morbide Inhalt durch: Da wird gemeuchelt, verbrannt, verschieden, vergraben und schnell, langsam oder sogar kerngesund gestorben; die Leiche im Kofferraum des Golf GTI wird immer aufs neue entdeckt und wieder vergessen. Selbst die beiden jungen Liebenden werden schon am Abend des ersten Kusses den Blick auf das unausweichliche Ableben richten. Und als Höhepunkt wird mit fröhlicher Melodie bedauert: Der schönste Tag zum Sterben, ist leider schon vorbei.

Klar geht es bei alledem auch einmal grob und zotig zur Sache, wenn etwa zwei Katzen ihr Lebensende in der Fritteuse finden. Aber das ist mehr ein Moment des Innehaltens, denn in der Summe nimmt Theussl den Tod bei aller Heiterkeit sehr ernst und spannt große Bögen, denen zu folgen alle Aufmerksamkeit erfordert. Zumal sehr viel von Theussls Botschaft gar nicht im Ausgesprochenen, sondern im Ausgelassenen zu finden ist.

Theussls Texte sind also große Kunst: Seine Sprache ist hintergründig, bildhaft und immer wieder hoch poetisch – wenn er etwa das ungeheuer stimmungsvolle Bild einer nebeligen Wiener Todesnacht zeichnet. Dennoch wirkt jeder Satz ungekünstelt und präzise – selbst wenn Theussl größtenteils im heimischen Dialekt singt. Aber auch die Liedbegleitungen auf der Gitarre sind weit mehr als schmucklose Akkordgerüste – sie tragen alle Stimmungen mit und geben mit kurzen Zwischenspielen auch immer wieder einmal Gelegenheit zu Einhalt und Atemholen.

Christoph Theussls morbid-satirisches Liedgut wird in der Laudatio zum Förderpreis der Liederbestenliste mit dem Georg Kreislers oder  Ludwig Hirschs verglichen. Theussl selbst meint dazu, das störe ihn nicht. Und es gibt tatsächlich objektiv auch wenig Gründe, dagegen zu protestieren.

Während also im Vereinsheim Theussls Tonjuwelen nacheinander funkeln, entwickelt die Todesthematik nach und nach beinahe etwas Beruhigendes: Statt aller verunsichernden Ungewissheit des Lebens kündet Theussl von der Sicherheit des der  ganz gewissen Ablebens: „Wia weadn olle steabm“, trällert er in munterer Tonart eines Sommerlieds – und lässt damit alle alltäglichen Sorgen des Hörers ganz klein und nebensächlich werden. Sogar wer mit eigenen Todesnöten ringt, wird in den sinnlosen Versuchen des Aufbegehrens, etwa in der Moritat vom ungleichen Kampfe des Bauernburschen mit dem unbezwingbaren Drachen schließlich sein augenzwinkerndes Spiegelbild erkennen.

So lockt Theussls Gesang den Zuhörer zuverlässig in die Erkenntnis, mit dem eigenen Leben einen kostbaren Schatz in Händen zu halten, den es zu bergen und zu pflegen gilt. Und folglich wird das Konzert im Vereinsheim tatsächlich ein lebensbejahendes Todesprogramm. Das dank CD oder Download daheim immer wieder erlebt werden kann. Wozu hiermit allen Lebenden vor dem unausweichlichen Ende ausdrücklich angeraten wird.

P.S.: Wer nach der ersten CD des Albums vom Sterben noch nicht genug hat, der findet im Digipack eine zweite Scheibe mit der gleich von mehreren Dutzend Theussl-Freunden eingesungenen „Moritat vom reisenden Kinde“, die im Vereinsheim als Dauerzugabe mit allen anwesenden Künstlern ihren blutrünstigen Frohsinn entfaltete. Bis dann um 22 Uhr auf unbarmherzigen KVR-Erlass die Musik erstarb, das Saallicht aber ein im äußersten lebendiges Publikum enthüllte.

Der Nutzen der Losigkeit: Sven Kemmlers „Die 36 Kammern der Nutzlosigkeit“

Leistungsgesteigerte Deos,  steueroptimierte Salami und just-in-time-produzierte Joghurts, die statt nur zu sättigen auch gleich noch den Enzymhaushalt aufräumen: Im effizienzgetrimmten Deutschland des Jahres 2013 ist die Nutzlosigkeit zur akut bedrohten Spezies geworden. Kein Wunder also, dass Sven Kemmler ins geheimnisvolle Kloster eines fernen Landes aufbrechen muss, um das Nutzlose in seiner ganzen zwecklosen Breite zu erlernen. Dank Vorqualifikation als Kabarettist wird er dort auch sofort als Novize akzeptiert und durchläuft auf der Bühne der Münchner Lach- und Schießgesellschaft im erbarmungslos sinnlosen, aber titelstiftenden Parcours   „Die 36 Kammern der Nutzlosigkeit“.

Schon der Titel von Svens neuem Soloabend weckt Assoziationen an einen einschlägigen Kung-Fu-Epos der späten Siebziger und Novize „Seven“ füttert dieses Klischee, indem er im mönchskuttigen Hotelbademantel durch den Abend schlurft und mit shaolinesker Kung-Fu-Rhetorik um sich schlägt.

Unerbittlicher Lehrmeister bei der Initiation in die hohe Kunst der prokrastinativen Phrasen­drescherei  ist ihm dabei sein eigenes Kloster-Tagebuch, das latent gegen den Autor aufbegehrt und sich mit immer neuen Grätschen und Kontern dagegen wehrt, einfach nur friedlich auf der Bühne vorgelesen zu werden. So  führt der vorzügliche Kemmlersche Wortwitz in Mönch und Buch einen atemlosen Schaukampf gegen sich selbst, bei dem als Kollateralschäden eine ganze Riege grenzdebiler literarischer Gestalten in der Bandbreite von Kapitän Ahab bis zur Biene Maja auf die Bretter geworfen wird.

Pausenlos prasseln die Seitenhiebe und Fuß(noten)tritte, bis das krawallgebürstete Tagebuch zynisch feststellt, dass der ganze Abend schon deshalb gescheitert sei, weil nicht eine einzige Frau vorkam. (Maja zählt offenbar nicht …)  Und dann lädt es Seven wieder dort ab, wo alles begann: In einer angeranzten Boazn  – dem wohl letzten Asyl, das den Jüngern der Nutzlosigkeit in München noch geblieben ist.

Fazit: Kemmlers Solo verweigert sich konsequent jedem höheren Sinn und allen etablierten kabarettistischen Formen. Und ist doch – was schon die Reaktion des Publikums beweist –  ununterbrochen ein formlos-sinnloses Vergnügen. Womit also die gediegene Nutzlosigkeit triumphiert – und sich dadurch im selben Moment selbst widerlegt: Das Nutzlose nützt. Wer sich selbst überzeugen möchte, findet weitere Termine hier:

http://www.sven-kemmler.de/termine/

Einfach reich beschenkt: Luise Kinseher im Lustspielhaus

Zunächst scheint alles ganz einfach: Luise Kinseher will aussteigen, die einsame Alm in den Schweizer Alpen ist schon bezahlt. Und so erscheint sie gleich am Anfang ihres Soloprogramms Einfach Reich mit dem Bündel der Geldscheine aus der Abendkasse, um ihren Abschied zu verkünden und das Eintrittsgeld zurückzuzahlen.

Aber so einfach geht es dann doch nicht: Der unbürokratischen Rückzahlung steht plötzlich Frau Buchhalterin Rösch entgegen, die als Fleischwerdung der Kinseherschen Krämerseele erst einmal vorab eine steuerwirksame Quittung von jedem Gast einfordert. Sich aber dabei sofort mit der shopping-affinen Frau Lachner aus dem Marketing überwirft. Dann platzt auch noch die gealterte Diva Frese in die Runde, um die Führung einer ökonomisch optimierten Ehe zu erläutern („Wo hat mein Heinz die Banane her? Sein Taschengeld reicht dafür nicht …“) und mittendrin krakeelt „Mary from Bavary“ herum, die der Einsamkeit genauso ab- wie dem Alkohol zugeneigt scheint.

Ein solcher Tumult aus Darstellern ist an sich schon erstaunlich für einen Soloabend. Noch erstaunlicher aber ist, dass es dazu weder Verkleidungsexzesse noch alberner Requisiten bedarf: Die Figuren enstehen mitten auf der Bühne allein aus Luise Kinsehers Mimik, Gestik und Sprache. Und zwar so instantan, dass sie sogar miteinander Dialoge führen können, ohne dass je der Faden verloren geht. Die ungeheure Präzision dieses Wechselspiels ist ganz sicher auch ein großer Verdienst der Regisseurin Beatrix Doderer.

Was den Abend aber jenseits aller darstellerischen Perfektion zum großen Ereignis macht, ist der kluge, scharfe aber doch wohlwollende Blick auf das menschliche Wesen. Denn die vielen Seelen, die wohl (ach!) in jeder Brust wohnen, sind nirgendwo alle einzeln mit ihren schwergewichtigen Bedenken in solcher Leichtigkeit zu erleben wie im Kinseherschen Kabarett.

Auf diese Weise wird das Ringen um Geld und Glück zu einem Streifzug durch die Seele jedes Zuschauers: Die schräge Damenriege ertappt nacheinander die Charakterdefizite des Betrachters und lockt ihn in den guten Vorsatz, es ab sofort viel besser machen zu wollen. Aber nur, um ihn Augenblicke später die totale Vergeblichkeit dieses Versuchs begreifen zu lassen.

So bleibt am Ende auch die Frage offen, ob die immer wieder hoch gelobten Kühe der Schweizer Alpen wirklich die besseren Menschen sind. Denn schließlich hält „Mary from Bavary“ noch ein berauscht-berauschendes Schlussplädoyer für das ganz menschliche Beisammensein. Dieses Sein scheint auch das Publikum ganz außerordentlich zu genießen. Denn im Applaus zeigt sich die große Einmütigkeit, mit den Weisheiten des Abends viel, viel besser weggekommen zu sein, als mit einem rückerstatteten Eintritt.

Auf diese Weise schnödes Geld gegen den Reichtum der Kinseherschen Klugheit einzutauschen, sei jedem Glücksucher aufs Wärmste angeraten. Wenn es ihm denn gelingt, Karten für eine der (ganz zurecht) auf Monate hinaus ausverkauften Vorstellungen zu ergattern. Aber es kann ja auch nicht alles einfach sein.

Roessl Revisited: Die Wiederauferstehung des „Weißen Rößl“ im Lustspielhaus

Das Weiße Rößl ist tot! Das schien zuletzt einhellige Meinung der deutschen Theater zu sein. Nach jahrzehntelangem Zuritt mit schwulstigen Heimatklischees, Hubschrauberknattern und Peter-Alexander-Gejodel sowie der Helmut-Kohl-Verklärung des Wolfgangsees mitsamt Christoph Schlingensiefs Badeurlaub für Arbeitslose schien das 1930 uraufgeführte Singspiel vom Salzkammergut, dem schönen Salzkammergut bestenfalls noch für Trash- und Zombie-Reiterferien zu taugen.

Erstaunlich also, dass Lustspielhaus-Regisseur Christian Lex sich für die Sommerspielzeit das Rößl vornimmt. Und noch erstaunlicher: Er nimmt das Werk ernst. Und eben deshalb nicht wörtlich. So gelingt es ihm, die Geschichte vom großem See, dem kleinem Wirtshaus, der ewigen Sehnsucht und den plötzlichen drei Hochzeiten auf gute zwei Stunden herunter zu destillieren. Und auf nur sieben Darsteller.

Aber was für welche: Für die Paraderollen hat Lex gestandene Kabarettisten gecastet, von denen jede und jeder ein Urgewächs seines jeweiligen Rössl-Biotops ist. Los geht’s mit Severin Groebner, in seinen Soloabenden Prototyp des Österreichers, der als Zahlkellner Leopold von Anfang an so raumgreifend gelassene Trägheit ausstrahlt, dass man für die trotz Premierengedränge fürsorgliche Aufmerksamkeit des passend gedirndelten Lustspielhaus-Personals an diesem Abend besonders Dankbar ist.

Ziel seiner gemächlichen, aber doch inbrünstigen Sehnsucht ist Luise Kinseher als Wirtin Josepha, in deren robuster Geschäftigkeit stets so viel großäugige Hilflosigkeit sichtbar wird, dass man Leopolds Avancen beinahe selbst mit Eifersucht begegnet.

Thomas Wenke – zuletzt Mitglied im Ensemble der Lach- und Schießgesellschaft – ist als Dr. Siedler ein überzeugend schillernder Lebemann, hat aber seine allergrößten Momente als schwerhöriger Kaiser, der im Rollator über die Bühne quietscht und die trivialen Lebensweisheiten des Singspiels so zerbrechlich austeilt, dass sie schon wieder anrühren können.

Für Leben und Lautstärke sorgt derweil Norbert Steinke. Er gibt den Berliner Totalquerulanten Giesecke mit einer Vehemenz, die auch im grantler-abgestumpften Bayern noch durchdringt. Josepha Sophia Sem reizt und neckt mit doppelbödiger Unschuld als sein Töchterchen Ottlile. Und Regisseur Christian Lex schlüpft schließlich selbst noch in die Rolle des schönen Sigismund, dessen kleine Schönheitsfehler aber bald die amüsante Frage stellen, ob er vom schüchternen Klärchen tatsächlich abgöttisch bewundert oder von ihr abgeklärt um den Finger gewickelt wird.

Zu Tempo und Unterhaltung trägt schließlich in ganz besonderer Weise Constanze Lindner bei, die in ihren beiden Rollen in geradezu chaplinesker Manier mit Armen, Beinen und Gesicht viel mehr redet als mit Ihrem forsch fordernden (Kathie) oder zuckersüß lispelndem (Klärchen) Mundwerk.

Eine im Vergleich zum Schauspiel noch dramatischere Rosskur wird im Lustspielhaus der Musik zuteil: Vom einst gigantischen Orchester (in der jüngst wiederentdeckten Originalpartitur kommen bis zu 250 Musiker vor) bleiben in der Bearbeitung von Stefan Dettl (LaBrassBanda) und Hans Kröll grade mal drei Blechbläser übrig. Die aber als Trio dennoch jede Nuance der Musik treffen und sich dabei weit aus dem volksmusikalischen bis in den Jazz und den Swing hinauswagen.

So ist dank dem konsequent umgesetzten Arbeitsmotto „wenig Aufwand, viele Ideen“ alles zu sehen und zu hören, was ein lebendiges Rössl ausmacht: Die Ohrwurm-Musik aller Rössl-Schlager ebenso wie das Gewitter überm Wolfgangsee, sämtliche amourösen Verwicklungen, den Kaiser selbst und in der Summe einen ganzen Abend lang kurzweilig intelligente Unterhaltung.

Allein mit dem Ton hatte die Premiere mitunter noch zu kämpfen. Die Mischung der auch unverstärkt sehr präsenten Bläser mit dem Gesang war gerade vorn im Saal mitunter unausgewogen. Vermutlich vor allem ein technisches Problem, denn hin und wieder blieben einzelne Darsteller ganz ohne Verstärkung.

Dass es nach der Pause im Ensemble ein Wenig menschelte und die Darsteller spontan liegengebliebene Requisiten verräumten, miteinander über den richtigen Text debattierten oder auch einen zweiten Anlauf in eine Musiknummer einforderten, das konnte am Premierenabend die Begeisterung des Publikums nur noch mehr anfachen. So gab es einen klanglich mehr als befriedigenden Schlussapplaus, in dessen nicht enden wollendem Getöse Constanze Lindner mit einer feinen Nuance zum Publikumsliebling gekürt wurde.

Womit also bewiesen wäre: Das Rößl lebt, es ist sogar quietschlebendig. Es muss nur frisch aufgezäumt und mit Hingabe, aber ohne Pomp und Pathos vorgeführt werden. Weitere Ausritte gibt es bis zum 14.8.2010 jeweils dienstags bis samstags. Ein Besuch wird empfohlen.

Apokatz … Akoplatz … Last Minute für die Menschheit

Veranstaltung am 21.10.2008 / Lach- und Schieß-Gesellschaft

Last Minute

High Noon im Himmel: Die Apokatz … nein Akoplatz … Atzoka … jedenfalls „dieser Weltuntergang“, an dessen Aussprache Erzengel Gabriel (Thomas Wenke) konsequent scheitert, steht unmittelbar bevor. Nur noch 14 Tage wird es dauern, bis ein hausgemachter Klimakollaps das Ende der Menschheit besiegeln wird. Gott selbst (Ecco Meineke) scheint sich in burn-out-verdächtiger Abstumpfung damit abgefunden zu haben; Gabriel aber hat noch Elan und es gelingt ihm schließlich, beim Chef eine allerletzte warnende Verkündigung herauszuquengeln: Falls es gelingt, binnen Zwei-Wochen-Frist die Botschaft „Du bist Frei“ unter der gesamten Menschheit zu verbreiten, wird deren aufklärerische Wirkung den Untergang noch einmal abwenden.

Eigentlich ganz einfach – meint auch die überraschte Verkündungsadressatin Alex Erdmann (Sonja Kling). Schließlich hat sie als Bewährungshelferin auch schon Bankräuber überzeugen können, die GEZ-Gebühr zu bezahlen. Da sollte sich doch auch die Freiheitsbotschaft im öffentlichen Bewusstsein verankern lassen. Allerdings hat sie nicht mit der Skrupellosigkeit, Gier, Trägheit und Eitelkeit gerechnet, die ihr auf ihrem Freiheitsverkündigungs-Feldzug überall entgegen schlagen. Und ebenso nicht mit ihren eigenen kleinen Schwächen …

Mit dem faustischen Prolog im Himmel und dem anschließenden irdischen Spektakel beibt das Lach&Schieß-Ensemble auch im neuen Programm „Last Minute“ seinem Konzept treu, auf der Kabarettbühne Theater zu spielen und im Verlauf der Handlung quasi nebenbei Spitzen in Richtung Politik und Gesellschaft auszuteilen. Das in Zusammenarbeit mit dem Passauer Kabarettisten Manfred Kempinger entstandene und mit Regisseur Michael Ehnert erarbeitete Kabarett-Schauspiel ist den drei Akteuren geschickt auf den Leib geschneidert.

So könne alle drei brillieren: Sonja Kling hält mit darstellerischer Kraft in der durchgängigen Rolle der Alex Erdmann den Handlungstrang zusammen. Der artistisch agierende Ecco Meineke und der unschulds-maskiert durchtriebene Thomas Wenke wechseln neben ihren Hauptaufgaben als Erz- und Racheengel durch reihenweise Neben- und Ganzdaneben-Rollen. Affektierte Starfriseure, Betonköpfige und -füßige Mafiosi, sächselnde Müllverbrenner, affenartige Liftboys, morbide Medienmacher, Berliner Bürokraten und mit ihren religionspezifischen Grausamkeiten protzende Geistliche stolpern als absurde Figuren doch immer schlüssig durchs Geschehen. Und nageln die großen wie kleinen Sünden der Menschheit fest, ohne dabei zwanghaft belehrend zu wirken.

Nur konsequent also, dass auch der Schluss weder in eine melodramatische letztminütige Rettung noch in eine moraltriefende Apokla..dingsbums steuert. Wie genau das gelingt, wird hier nicht verraten – schließlich lohnt es sich ganz ungeheuer, es selbst herauszufinden.

BLAM! BLAM! Baller-baller: Baader-Meinhof reloaded.

Veranstaltung am 04.10.2008 / Der Baader Meinhof Komplex, derzeit in viel zu vielen Kinos
Baader Meinhof
Wenn ein „zeitgeschichtlicher Dokumentarfilm“ (BLAMM!) mit einem Trailer im Rambo-Terminator-Stil (RATATATATATA!) angekündigt wird und selbst Ex-RAFie Peter-Jürgen Boock im Radiointerview die unreflektierte Gewalt bemängelt, dann hätte ich eigentlich gewarnt sein müssen. Aber ach, der linksintellektuelle Bildungskanon …

Also habe ich nach dem Trailer auch den Film selbst angesehen. Den Unterschied aber zunächt gar nicht bemerkt: Hektische Schnittfolge (ZOSCH!), schmerzhaft übersteigerte Geräusche (RUMMS!) und Effektgewitter (BLAFF!) toben hier nämlich genau so ununterbrochen wie im Trailer – der einzige Unterschied ist, dass das Inferno diesmal eben 150 Minuten lang andauert.

Zusammengetragen – oder besser formuliert – zusammengeschossen wird so ziemlich die komplette bewegte Handlung aus Stefan Austs gleichnamigem Standardwerk. Dabei bleibt ob des enormen Massakrierungs-Arbeitspensums von Benno Ohnesorg (PENG!) bis Hanns Martin Schleyer (PAFF!, PAFF!, PAFF!) schlicht keine Zeit für irgendwelche Nachdenklichkeiten. Einzig Ulrike Meinhof bekommt anfangs einige Minuten zugebilligt, um so etwas wie den Ansatz eines Charakters zu entwickeln. Später wird dann aber auch ihre halbjährige Zermürbung in der Isolationszelle filmisch in der Texteinblendung „sechs Monate später“ zusammengefasst.

Was die Beteiligten auf beiden Seiten also zu ihrem blutigen Handeln treibt, wie ebenso unter den Terroristen wie bei Polizei und Sicherheitsbehörden die Hardliner gegen die Gemäßigten anrennen oder gar die Verstrickungen der beiden Seiten – z.B. durch den V-Mann Peter Urbach – das bleibt in der grell bebilderten Gewaltspirale total im Dunkeln.

Gegenüber anderen, noch grausigeren Splatter-Dokus ist immerhin positiv anzumerken, dass sich das filmische Gemetzel zumindest einigermaßen an die belegten Fakten hält. Aber das dürfte dem Duo Edel-Eichinger leicht gefallen sein, weil die Vorbilder ja zum Glück auch in der Wirklichkeit genug geballert und gefickt (laut Baader gilt ohnehin: „Ficken und Schießen sind ein Ding.“) haben, um einen marktgängigen Spielfilm voll zu bekommen.

Was also in der Summe herauskomt, ist eine mehrstündige Aktenzeichen-XY-Dauerrotation (und zwar ohne ein Atemholen mit Pausenclown Eduard). Allerdings hatte das Aktenzeichen immerhin den Anspruch, die niederen voyeuristischen Instinkte des Publikums für die Verbrechensaufklärung zu instrumentalisieren – eine Legitimation, die dem Edelschen Gemetzel eben fehlt. Deshalb fällt es dann besonders unangenehm auf, dass kein einziges der Terroropfer über der Rolle einer Schießbuden-Figur heraus kommt und auch die Mehrzahl der Terroristen nur als Kugelfang eingesetzt wird.

Es sei der Fairness halber erwähnt, dass die Besetzung (offenbar ein Cut&Paste aus dem Who’s Who des deutschen Films) durchweg hohe darstellerische Leistung abliefert. Aber was nützt das in diesem Fall?

Bleibt als letzte Hoffnung, dass dieser Film zumindest etwas Aufmerksamkeit auf die – ja heute wieder wirklich brandaktuelle – Diskussion über die Hintergründe des Terrorismus lenken wird. Er selbst kann dazu nämlich nichts, aber wirklich gar nichts beitragen.

Nicht nicht helfen wollen hilft nicht.

Veranstaltung am 3.10.2008 / Kaspar Häuser Meer, Münchner Kammerspiele

Erledigt!

Ein Amt in Deutschland: Schreibtische, Formulare, Hirarchien. Materialisierte Langeweile. Eigentlich. Nur dass auf dem Jugendamt eben nichts Abstraktes, sondern das Schicksal von Kindern und Familien verwaltet wird und ein Verwaltungsakt so schnell zur Entscheidung über Leben und Tot werden kann.

Jugendamtssozialarbeiter Björn hat diesem Druck nicht standgehalten und ist mit Diagnose B(j)örn-Out auf unbestimmte Zeit aus dem Rennen. Seine drei Kolleginnen Barbara, Silvia und Anika stehen ratlos vor dem Scherbenhaufen und vor seinen fernmündlichen Beteuerungen, doch nicht nicht helfen zu wollen.

Dass solch ein Ausgangsszenario nicht notwendiger Weise in eine hilflos verschwurbelte Kevin-Gerichtsakte münden muss, beweist Felicia Zeller in ihrem Drama „Kaspar Häuser Meer“ – derzeit in der Regie von Lars-Ole Walburg in den Münchner Kammerspielen zu sehen (Weitere Termine hier!). Zentraler Träger des Abends ist Zellers großartiger Text, der in hohem Tempo Andeutungen, Assoziationen und Fragmente streut und damit die Gedanken der Zuhörer ständig in wacher Bewegung hält.

Walburgs Inszenierung ordnet sich diesem Meisterwerk respektvoll unter und verhilft dem Text ideenreich zu besonderer Wirkung. Da ist zunächst der Clou, alle drei Damenrollen von jungen Männern im Rock spielen zu lassen. Das erzeugt am Anfang zwar verlegenes Kichern im Saal – aber schon nach wenigen Augenblicken ist klar, dass hier keine billige Transennummer zu sehen ist, sondern im Gegenteil durch dieses Befremden alle Frauenfiguren vor dem Abrutschen ins Klischee geschützt werden.

Lasse Myhr, Steven Scharf und Sebastian Weber beherrschen auch als männliche Darsteller souverän jeden weiblichen Ausdruck und spielen gelungen mit dem Über- und Untertreiben der Darstellung, wenn der Text das Publikum mitunter direkt anspielt, es dann aber über weite Strecken als unsichtbaren Voyeur am Geschehen teilhaben lässt – oder wenn die drei Figuren sich selbst gegenseitig Theater vorspielen.

Allein durch den Blick ins Amt wird aus vorgelesenen Formularen, belauschten Telefongesprächen und den Debatten der drei Damen nach und nach das ganze grausame Spektrum familiären Leidens sichtbar, ohne dass sich die Handlung in Gewalt- und Ekel-Exzessen festfahren würde – was beweist, wie klug Felicia Zeller daran tat, für ihren Blick auf das Kinderelend gerade die Verwaltungsperspektive zu wählen.

Zwischen diesen intensiven Momenten schaft Regisseur Walburg Gelegenheit zum Atemholen und manchem befreienden Gelächter: Da ziehen die Damen vom Amt mit plüschtier-bestücktem Patronengurt in Rambo-Manier in die Kindswohl-Kampfzone. Ein Zementmischer speit mit quälender Langsamkeit geschundene Puppen aus. Oder die Jugendamtssozialarbeiterinnen tragen auf dem schwankenden Boden ihrer rollenden Schreibtische ihre Konflikte in einer großen Karambolage aus.

Neben allen Betrachtungen des Kinderünglücks ist Zellers Text auch eine brilliante Beobachtung, welche zerstörerischen Mechanismen eine pausenlose Überforderung in einem abgeschlossenen Arbeitsbiotop in Gang setzt: Verdrängung, Verzweiflung, Apathie, planlose Hektik, Ausgrenzung, Flucht Selbstzerstörung oder Aggression im Kollegium – in der Amtstsube werden „Mobbing“ und „Burn-Out“ drastisch und schlüssig vorgeführt.

So ist zu begreifen, dass die Jugendpfleger eben keine Übermenschen sind, sondern irgendwann an die gleichen menschlichen Grenzen stoßen wie ihre Klientel. Als Ungleich-Gleiche aufeinander gehetzt, mündet die gut gemeinte Hilfestellung schließlich in den offenen Kampf zwischen Helfern und Geholfenen: Eltern, die mit dem regelmäßigen Windel-Wechsel überfordert schienen, bringen plötzlich genügend Initiative auf, um Anwälte oder die Medien in Marsch zu setzen. Und lassen die Damen vom Amt scheinbar mit Wonne ins offene Messer laufen. Kein Wunder also, dass am Ende ein Schlachtfeld voller zerschundener Verlierer zurück bleibt.

Fazit: Große Themen, großes Theater – und auch noch große Unterhaltung. Eine großartige Dreiecksbeziehung, zu der Autorin, Regie und Darsteller gleichermaßen beitragen.

Endlich: Sven Kemmlers große Beglückung

Veranstaltung am 16.9.2008 / Lach- und Schieß-Gesellschaft

Sven Kemmler: Endlich

… irgendwann muss es doch endlich gelingen, glücklich zu sein?! Sven Kemmler stellt sich in seinem zweiten Kabarett-Soloprogramm „Endlich“ einer ganz großen Aufgabe: Er will beweisen, dass das Glück erlernbar ist. Die freundlich begrüßten „Seminarteilnehmer“ in der Lach&Schieß bekommen zu diesem Zweck auch gleich einen minutiös festgelegten Flipchart-Fahrplan präsentiert.

Den soll zunächst der kitteltragende „Experte“ abarbeiten, der mit forscher Selbstgewissheit antritt, sich dann aber schnell immer hoffnungsloser zwischen Hausfrauenweisheiten und der Quantenmechanik verheddert. Den Kontrast dazu bildet die ins Diktiergerät reflektierte Lebensbeichte eines Auftragskillers, der bei aller abstoßender Zynik doch Sympathie weckt, weil zumindest er offenbar etwas von dem versteht, was er tut.

Als Reaktion auf eine verpatzte telefonische Menübestellung springt dann noch ein säbelschwingender Sushi-Samurai auf die Bühne. Und demontiert furios die ach so populäre Glücksuche in der verklärten (weil nicht verstandenen) Exotik, indem er mit außuferndem Pathos einen Heldenmythos zelebriert, der sich bei genauem Hinhören als die Geschichte vom Räuber Hotzenplotz herausstellt.

Im sich virtuos immer weiter steigernden Tumult ist doch immer klarer zu erkennen, dass Sven Kemmler den neurotische Empathie-Eunuchen, den herzlosen Lebensbeender und den heldenmütigen Kasperle-Verklärer in ihrem verzweifelten Scheitern klug auf ein ein großes Ziel hin steuert: Alle drei hauen bei ihren Versuchen, das Glück in Worten und Bildern fest zu nageln so oft von allen Seiten virtuos daneben, dass inmitten des zertrampelten Terrains schließlich eine Silhouette des Glücks stehen bleibt, die jeder Betrachter mit seinen ganz eigenen Vorstellungen füllen kann.

Von der Bühne spühen derweil unentwegt Wortwitz und Ideen in solchem Tempo, dass mitunter kaum noch Platz für das Gelächter bleibt. Und zwischendrinn sogar eine zarte Poesie, in der endlich eben auch als Vergänglichkeit begreifbar wird.

Neben inhaltlicher Stärke hat Endlich auch dramatische Qualität: Die Figuren sind interessant gestaltet, differenziert dargestellt, entwickeln sich und werden im Verlauf des Abends immer stärker miteinander verwoben. Bühnenbild, Licht, Musik und Requisiten sind sparsam, aber bewusst und wirkungsvoll eingesetzt.

Das alles ist sicher auch ein Verdienst von Eva-Katrin Herrmann (bitte nicht mit der fast namensgleichen dogmatischen Herd-Hüterin zu verwechseln), die nach langer Karriere als Schauspielerin in diesem Programm ihr Regie-Debut gibt.

Gemeinsam gelingt es Kemmler und Hermann also, das große Thema Glück zwischen brachialen Figuren doch ganz zärtlich und poetisch in die Zange zu nehmen. Das ist ebenso klug wie komisch – und macht ganz augenscheinlich das Publikum weit über das Ende der Vorstellung hinaus glücklich. Quod erat demonstrandum.

Physi-Kabarett: „Science Busters“

Veranstaltung am 11.9.2008 / Science Busters, Lustspielhaus, München
Schaltplan Funkeninduktor
Endlich, endlich, verschaft einmal jemand meinem Studienfach seinen Platz auf der Bühne. Physikalisches „Edutainment“ hat sich das Wiener Trio der „Science Busters“ auf die Fahnen geschrieben. Und sich als Thema des Abends – schon des Datums wegen – die Verschwörungstheorien vorgenommen.

Die Besetzung verspricht Kompetenz in Unterhaltung und in Physik: Denn mit Martin Puntigam tritt ein vielfach ausgezeichneter Kabarettist auf die Bühne, dem mit Professor Heinz Oberhummer und Univ. Lekt. Werner Gruber zwei echte Physik-Dozenten der Wiener Universitäten zur Seite stehen. In dieser Echtheit liegt aber auch das große Problem des Abends: Die beiden Wissenschaftler sind nämlich auf der Bühne genauso echt wie im Hörsaal. Der konzeptionelle Unterschied zu einer gewöhnlichen Vorlesung besteht also nur in Puntigam, der als Moderator den Abend vorwärts treibt und den Dozenten mit bösen Fragen und spitzen Kommentaren in die Paraden fährt.

In vorlesungsbewährter Weise bewegen sich alle drei zwischen Leinwand, Pult und Experimentiertisch. Manchmal gelingen dort experimentelle Geniestreiche, wenn etwa Gruber mittels Sand, Papp-Astronauten und dem Theaterlicht beweist, dass auch im Sonnenlicht nicht alle Schatten gleich sind – und so in der Sandkiste eine der impertinentesten Verschwörungstheorien zur Mondlandung der Amerikaner widerlegt.

In anderen Augenblicken aber wird großer Aufwand mit wenig Wirkung betrieben – z.B. indem in einer infernalisch lauten Filmeinspielung der nackte Arnold Schwarzenegger als Muster-Außerirdischer über die Leinwand grunzt. Entsprechend unterschiedlich bleibt der Lerneffekt: Einiges ist auch für unvorbelastete Beobachter zu verstehen, andere Themen sind so gewählt, dass sie in einem Atemzug auch gar nicht verständlich zu erklären sind. Und manches ist auch nur als Schock- und Ekel-Effekthascherei zu begreifen.

Nach den Maßstäben der Unterhaltung beginnt irgendwann die Beweglichkeit und Wandelbarkeit der Figuren zu fehlen. Gruber doziert stets raumgreifend, Puntigam spöttelt unentwegt und Oberhummer hält sich mit klugen, aber seltenen Beiträgen sehr im Hintergrund. Das ist schade, denn eigentlich böten die häufig diametralen Weltsichten von Physikern und „normalen Menschen“ reichlich Gelegenheit, Konflikte auszutragen.

So werden die behandelten Verschwörungstheorien vom Blutwunder über den 11. Sptember bis zur Auslösung des Weltuntergangs im CERN nur von ihrer technischen Seite betrachtet. Ihr schillerndes Wechselspiel aus wissenschaftlicher Ahnungslosigkeit und menschlichen Urängsten bleibt weitestgehend außen vor. Auch der Umstand, dass sich mit Oberhummer ein Theoretiker und mit Gruber ein Experimentator gegenüberstehen und sich diese Spezies in freier Physiker-Wildbahn stets höchst skeptisch als „substanzlose Spinner“ bzw. „ideenlose Klempner“ betrachten, wird nur am Rande thematisiert.

Nachdem sich Rauch und Flammen der Schlussnummer verzogen haben, gibt es vom Publikum – in dem diesmal erstaunlich viele blässliche Brillenträger zu finden sind – einen sehr dankbaren Applaus. Physik und Unterhaltung müssen sich also doch nicht abstoßen wie zwei gleich geladene Teilchen. Womöglich könnten beide Disziplinen aber noch von interessanteren Bühnenfiguren, einem didaktischen Konzept und einer stärkeren Verflechtung mit dem „unwissenschaftlichen Denken“ profitieren.