Das Monster der Sterblichkeit: Christian Moser ist tot.

Auf dieses Wiedersehen mit Christian hatte ich mich ganz besonders gefreut: Im Schwabinger Vereinsheim war „Café Melanie“ angekündigt – jene viel zu selten gehörte skurrile Herrenkapelle aus Christian Moser und Severin Groebner, die mit Hingabe und Elektropiano absurdes eigenes Liedgut schmetterte. Aber am Nachmittag vor der Vorstellung kam eine launige E-Mail: Die eine Duohälfte (er selbst) sei krank, die andere (Severin) aber auch allein hinlänglich komisch. Das klang für mich nach einer kleinen Unpässlichkeit – doch dann hörte am nächsten Morgen Christians Herz plötzlich zu schlagen auf.

Die Zeitungen schreiben von einem Infarkt und einem Herzfehler, Christians Freunde sagen, das sei gar nicht sicher – aber letztendlich spielt es auch gar keine Rolle. Christians von Kreativität sprühendes Leben als Musiker, Comiczeichner, Autor, Illustrator, Darsteller – und als geschätzter Freund ist mittendrin urplötzlich zu Ende. Unerwartet. Unerklärlich. Unfassbar.

Musik, Comics, Bücher, Bilder, Inszenierungen – schon allein Christians künstlerisches Wirken scheint kaum zu umfassen. Eines aber verband alle seine Facetten: Die bewundernswerte Fähigkeit, große Fragen und lange Geschichten in wenigen, aber klaren und sinnlich erfahrbaren Zügen darzustellen. Das klingt fast mehr nach einer Lehrer­persönlichkeit. Und tatsächlich: Christian hätte – da bin ich mir vollkommen sicher – jeden Klassenraum, auch jeden Hörsaal mit seiner leisen, sympathischen Autorität für sich erobern können.

Er aber wählte als Autor und Zeichner seinen ganz eigenen, besonderen Weg. In aufwändig mit eigenen Zeichnungen gestalteten Bänden stellte er Geistesgrößen wie Johann Wolfgang von Goethe oder Sigmund Freud samt Werk und Wirken vor. Und breitete seine Bildung grade im vermeintlich „bildungsfernen“ Genre des Comics aus.

Seine Perfektion aber fand Christian in meinen Augen in den „Monstern des Alltags“: Der Neid, die Heuchelei, das schlechte Gewissen, der Weltschmerz,  die innere Leere – und Dutzende weitere kleine und größere menschliche Schwächen erhielten von Christian als knuffige Wesen mit großen Augen und bunten Farben eine greifbare Gestalt.

Die Monsterbilder zu betrachten ist ein Vergnügen – aber sie entwickeln darüber hinaus blitzschnell eine aufklärerische Kraft. Im Angesicht von Christians Schöpfungen fand ich mit anderen Menschen ins Gespräch tief unter allen Oberflächlichkeiten: Sonst scheinbar Unaussprechliches wird bildlich begreifbar, der subtile Humor der Zeichnungen betäubt Schmerz und Furcht, die plötzlich so putzigen Verfehlungen auch in sich selbst zu suchen.  Mosers Monster sind Kunstwerke, Gesprächstherapie und philosophischer Diskurs in einem – in Christians Bildern wird das ganz große ganz klein – um sich dann in den Köpfen seiner Leser und Betrachter wieder zu einem schier unendlichen Kosmos zu entfalten.

Eingebettet hat Christian die Monsterbilder in das hingebungsvoll mit lateinischen Gattungen und Grafiken gestalteten Layout eines klassischen zoologischen Atlanten – eigentlich hätten seine Bände statt des Paperbacks einen Ledereinband verdient gehabt. Und der Welt der Studierzimmer und Lederfolianten schien er auch selbst selbst entstiegen zu sein, wenn er im Kittel mit spitzbübischem Ernst und einem Diaprojektor seine Geschöpfe präsentierte. Dieses Bild des sympathischen Forschers und Suchers fand seine schlüssige Fortsetzung in der liebevoll gestalteten Altbauwohnung, die Christian in der Münchner Au gemeinsam mit ungezählten Bildern und Skulpturen seiner Monster bewohnte und die mir stets ein Wenig das Gefühl vermittelte, ein zoologisches Institut zu betreten.

Was nun aber den bewundernswerten Künstler Moser so wirklich liebenswert machte, war seine spürbare Zuwendung und sein Mitgefühl mit allen seinen Figuren – und also auch dem dahinter verborgenen Menschen – auch, oder sogar gerade im Angesicht von Fehlern und Schwächen.  Selbst in seiner Bild-Biografie Karl Mays – den Christian in unerbittlicher historischer Korrektheit als Lügner, Hochstapler und Kleinkriminellen entlarvt – bewahrt der zusammenphantasierte Superheld und Universal­gelehrte stets Würde und kann Mitgefühl auf sich ziehen. Und als ich selbst das große Vergnügen hatte, gemeinsam mit Christian auf der Bühne Psychologie und Physik des deutschen Autofahrers  zu ergründen, entdeckte er mir auch in den PS-protzenden Rasern ganz vertraute menschliche Züge.

Ich hatte bei all unseren Begegnungen den Eindruck, dass das Glück und die versöhnliche Erkenntnis, die seine Werke stifteten, auch Christian selbst still beglückt haben. Und dass das Leben, aus dem es ihn in voller Fahrt herausgerissen hat, ein glückliches gewesen ist. Das mag ein kleiner Trost sein im Angesicht des liebens- und bewundernswerten Menschen, den wir mit Christian verloren haben. Wie sehr ich ihn schätzte und wie er mir fehlen wird, das habe ich mit diesen Zeilen grade erst zu begreifen begonnen. Und ebenso begreife ich, wie viel Glück und Vergnügen er verschenkt hat.

Danke für das alles, Christian. Und adieu.