5 Minuten Ruhm: SLAM2008, Tag zwei

Andy Warhol hat jeden Menschen für’s ganze Leben 15 Minuten Ruhm versprochen. Das hätte auf dem SLAM2008 immerhin bis in die erste K.O.-Runde des Finales gereicht. Für mich war aber schon nach fünf Minuten das Ruhmende erreicht. Na gut, ich kann mich damit trösten, dass mit Sebastian 23 (Vize-Slam-World-Champion), Andy Strauß (Freak-Slammer 2007), Björn Högsdal und Jakob Nacken keine ganz unbekannten die Plätze im Halbfinale eingenommen haben.

Gelost war ich auf Position 6 – und damit direkt nach Andy, der mit einer wirklich überirdisch absurden Kurzgeschichte antrat: Ein konsumgeifernder Gnom baut in der heimischen Küche ein Nest, um den kompletten Inhalt eines Versandhauskatalogs mitsamt Fotomodels auszubrüten. Der Saal tobte. Und mein anschließendes Toben mit dem Laub blasenden Frührentnern ging im Mittelmaß unter.

Ein Kompliment noch an Jakob Nacken für seine auch beim wiederholten Anhören schöne Reflexion des ganzen Lebens anhand seines unter dem Kopf der Freundin eingeschlafenen linken Armes.

Meine Slam-Kondition war anschließend erst einmal am Ende – ich bin planlos durch das U20-Finale und diverse Einzel- und Team-Vorrunden geirrt, ohne wirklich etwas wahrgenommen zu haben. Ab heute also nur noch aus der Betrachter-Perspektive.

Gipfel & Gedichte: Der erste Tag des SLAM2008

Wow, jetzt ist es wieder soweit: Die Meisterschaft aller Deutsch sprechenden Slams um den Champion aller Slam Champions wird ausgetragen. Für alle mittendrin ist das ganze aber weniger ein Wettbewerb, sondern vor allem ein Familientreffen der Slamily. Treffpunkt in diesem Jahr: Der Züricher Schiffbau, einst Werfthalle und heute als Industriedenkmal Spielort des Züricher Schauspielhauses.

Meine Rechtfertigung mitzufeiern ist die Münchner Kiezmeisterschaft, die ich gemeinsam mit Heiner Lange vertrete.

Organisatorisch haben die Züricher Familienhäupter ganze Arbeit geleistet; gleich in der ersten Stunde erhalte ich nicht weniger als fünf Teilnehmerausweise:

  • Ein SLAM2008-Button zum Erwerb subventionierter Getränke (überlebenswichtig bei den Züricher Getränkepreisen)
  • Ein SLAM2008-Armband zum Eintritt in die Veranstaltungen
  • Ein SLAM2008-Dauerticket zur Nutzung der Stadtbuslinie 33 (aber nur der …)
  • Ein SLAM2008-Namensschild zur Pflege sozialer Kontakte
  • Eine Chipkarte der Jugendherberge

So ausgerüstet öffnen sich alle Flaschen und Türen und ich kann vor meinem eigenen Dichter-Kampfeinsatz erst noch ein wenig Schlachtenbummler spielen.

Der Weg zum Champ aller Champs beginnt in einer der zwölf Einzel-Vorrunden, die aus jeweils zwölf Kandidaten je vier für eines der Halbfinals qualifizieren. Gleich zwei meiner Münchner Mitdichter hat es in die Vorrunde 3 im Moods-Jazzclub gelost. Eine der drei Runden, die um 20 Uhr den Wettbewerb eröffnen. Und leider allesamt ohne Sacrifice Poet ausgetragen werden.

Der erste Wettbewerber muss also einen Kaltstart bei undefinierter Stimmung und Erwartung im Publikum hinlegen. Und weil der erste der Runde 3 den Slam-Motor doch nicht richtig zum Laufen bekommt, muss auch Rundenzweite Sarah Hakenberg noch schwer kämpfen, den Saal in Fahrt zu bekommen. Ihre „Geschichte, die ich morgen schreiben werde“, landauf landab slamerprobt, kommt gut an und wird dann dankbar, aber leider nicht enthusiastisch gefeiert.

Kiezkollege Heiner Lange hat es einige Startplätze später dann leichter. Bei seiner „Backpacker“-Tour durch den Kulturinzest der lonely-planet-gläubigen Globetrottel folgen ihm alle Zuhörer schon mit mehr Begeisterung. Oder besser: fast alle. Denn als die Notentafeln der Jury hochgereckt werden, reicht sind Bewertungen von 9,3 bis 3,5 Punkte zu lesen. Ist da ein Jünger der Lonely-Planet-Sekte
nach Zürich getrottet?

Weiter geht es mit viel Abwechslung und Überraschungen. Auf der Bühne ebenso wie auf den Notentafeln. Annika Blanke hat den Mut, in der Schweiz vom Heavy-Metal-Festival in der ostfriesischen Provinz zu berichten und landet nach einem etwas gehetzt wirkenden Vortrag, der schließlich vom Moderator abgebrochen wird, weit oben in der Wertung. Die verschiedenen True- Trash- Black- und Emo-Fraktionen dieses Musikgenres scheinen auch in Zürich bekannt zu sein. André Herrmann Punktet mit der Leidensgeschichte eines von der Arbeitsagentur zwangsverpflichteten Weihnachtsmannes aber noch etwas höher.

Empfundener Höhepunkt ist dann Remo Rickenbacher, der sich mit den Mantras sämtlichen Werbefloskeln des letzten Jahres autosugestiv an die Disco-Angebetete heranarbeitet. Eine perfekte Kongruenz der der Figur auf der Bühne mit der im Text, ein wenig Konsumkritik, eine ordentliche Bühnenpräsenz, ein Kleinwenig Lokalkolorit, eine Prise Zotigkeit, wenn der Werbegedopte am Ende in einer Pfütze aus Erbrochenem ausgleitet und dann auch noch das unverwüstliche Mann-begehrt-Frau-in-der-Disco-aber-traut-sich-nicht-Thema: Das alles bringt den Saal zum Toben und reicht in der Summe am Ende für den Rundensieg.

Vor diesem Ende zeigt aber noch einmal einer, dass es auch ohne Er-sucht-Sie und Exkremente geht: Gauner begegnet auf einer Zugfahrt sich selbst, schnüffelt vorsichtig durch Regale mit Erinnerungen, Verletzungen und Verdrängtem – beschließt dann aber, das alles zurück zu lassen um nach vorn zu blicken. Eine schöne Sprache, ein freier, ruhender Vortrag und ein bedeutsames, aber unverbrauchtes Thema – das weiss auch die Jury zu honorieren, die ihn Punktgleich mit André auf den geteilten dritten Platz hebt. Was dann im letzten Augenblick Nominationsmünchnerin Sarah auf den undankbaren fünften schiebt.

So werden Remo Rickenbacher, Heiner Lange, André Herrmann und Gauner im Halbfinale weiterkämpfen. Sarah aber wird ganz bestimmt morgen irgendwo eine ganz andere Geschichte schreiben.

Biblio- statt Kneipen-Theken

Veranstaltung am 24.10.2008 / Stadtbibliothek Nürnberg

Bibliotheksnacht der Stadtbibliothek Nürnberg – das klingt nach neonbeleuchteten Regalschluchten, in denen wasserglasige E-Lyriker gegen den Weltschmerz anflüstern. Tatsächlich übertrifft mein erster Eindruck sogar noch alle diesbezüglichen Angstbilder: ich finde eine menschenleere neon-röhrende Regal-Rodungsfläche vor, die vollflächig mit einer halben hundertschaft Ballermann-bewährter Plastikstühle gepflastert ist.

Aber der Veranstalter und Moderator Michael Jakob hat seine Hausaufgaben sauber erledigt: Als es schließlich losgeht, sind alle hässlichen Stühle mit anmutigen Menschen verdeckt und das Neonlicht zugunsten eines Scheinwerfers abgeklemmt, was für absolut unbibliothekarische Lebhaftigkeit sorgt.

Michl hat aber noch für eine zweite Überraschung vorbereitet: Er hat den Slam still und heimlich als Städte-Battle konzipiert. Franken (Nürnberg) sollen also im K.O.-System gegen Nichtfranken (München) antreten. Mich lost es an den letzten Platz der ersten Runde. Ein echtes Losglück, denn in jeder Ausscheidung geht konsequent der zuerst auftretende Poet K.O.. Felix Bonkes wundervoller Thalamus-Text wird von Nachfolgerin Clara Nielsen auf die Bretter geworfen; Miss Wortwahls erotisch-morbides Meeresgedicht unterliegt dem ihr folgenden Björn Dunne, Heiner Lange muss sich mit BEEP-komischer Fernsehsatire seinem Nachfolger Schlumpf geschlagen geben. Und ich schaffe als Zuletztslammer nach Tobias Ludolph den Einzug in die zweite Runde.

Die Räumt dann rasch mit der Landeshauptstadt auf: Die unfrankierten Björn (der als einziger an diesem Abend mit der Regel vom Sieg des Zweitgelosten bricht) und ich fliegen raus. Clara und Schlumpf machen das Battle als fränkischen Bürgerkrieg unter sich aus. Dort legt Schlumpf dann doch einmal die pechschwarze Maske ab und beginnt ein Wenig humoristisch zu funkeln. Aber Clara ist nach ihm dran und beweist noch ein letztes Mal die Regel der Zuletztgewinner.

Ach ja: Zwischen den K.O.s darf Jon Nielsen zweimal als Featured Artist auf die Bühne. Und kann dort zunächst mit Wortspielereien brillIEREN um schließlich in „Des Kaisers neue Kleider“ geschickt das Märchen und seine eigene Schriftstellerfigur zu verweben.

Mit jeweils einem „Was ist Was“ Buch-Trostpreis ziehen die Münchner gemeinsam Wunden leckend zurück ins heimische Dichterlager.

Scharfe Dichter, wenig Richter: Poetry Slam in Passau.

Veranstaltung am 23.10.2008 / Poetry Slam im ScharfrichterHaus Passau

Im Passauer ScharfrichterHaus hatte ich bei meinem letzten Auftritt im Januar auf der Bühne kaum noch Platz zwischen den dorthin ausgewichenen Publikumsmassen gefunden. Diesmal ist die Saalfüllung nach dem Schema „ein Gast – ein Stuhl“ geradezu gutbürgerlich. Was die Moderatoren sichtlich beunruhigt.

Aber egal: Dichter und Richter gibt es auch diesmal mehr als genug. Den Dichter-Anfang macht das Passauer Slam-Urgestein Norbert Schimmelpfenning mit einer beschaulichen Gespenstergeschichte. Dann legt Daniel Schulze los und liefert ein erschütterndes Geständnis seiner Sucht ab: Er ist schwer obstabhängig; als er dann noch Adolf Hitler als Jean Pütz reinkarniert hat er den Saal ganz auf seiner Seite.

Still wird es dann in Stefan Pongrazs „Die Eisblume“ und Theresas rätselhaftem Kurzgedicht „Der Richter“. Zum Rundenschluss brilliert Sabine Oberpriller in der Rolle der Meerjungfrau, die sich auf ihre Insel geflüchtet hat, um allen Bedrohungen der Welt zu entgehen – und dabei aber eben auch alle Chancen und Herausforderungen verpasst. Der Vortrag gelingt ihr ebenso sprachlich schön wie authentisch. Aber der Saal hat humoristisches Blut geleckt, und so wird Daniel ins Finale durchgereicht.

Bevor es weiterslamt, wird wieder das „Kleinod des Monats“ ausgelobt, ein in Worten unbeschreibliches Poesie-Objekt (siehe Fotos oben) aus wetterfestem Hartplastik. Das Publikum bestimmt per Plädoyer einen Beschenkten – ich komme zum Glück unbeschenkt davon.

Den Auftakt nach der Pause macht Andi Aretzberger – „Schau dich schlau mit Pan Tau“ ist eine tatsächlich schlaue Medienkritik. Erik Weber referiert leicht vergeistigt über „Die Kunst deutscher Sprache“, Sebastian Ihle trägt über das Leben vor. Sebastian Stopfer zeigt dann totalen Sprach- und Körpereinsatz, schreit und stirbt auf der Bühne – bleibt aber mit Themen wie „Saurer Regen“, „Blut“ und „Lebendig begraben“ durchweg düster.

Als allerletzter Kandidat darf schließlich ich auf die Bühne, lese eine Geschichte aus dem neoliberalen Märchenbuch vor und erzähle, weil der Wecker noch nicht klingelt, noch vom tragischen Amseltod eines liebeskranken Wurmes. Dem Publikum gefällts und ich darf gleich übergangslos im Finale weitermachen und den Laubbläser über die Bühne toben lassen.

Bei Co-Finalist Daniel Schulze brechen dann der Protagonist samt Großmutter im Auto nach Österreich auf. Mit Hund. Und Hund kann sprechen. Publikum begeistert. Doppelsieg. Daniel erklärt übrigens auch nach Konsum des Slam-Whiskeys standhaft, nie etwas von Marc Schuster gehört zu haben.

Um meine multimedialen Neigungen auszuleben, habe ich eine billige Kompaktkamera in der Tasche. Die ich nach Betrachten der obigen Fotos übrigens wieder beim Händler zurückgegeben habe.

Apokatz … Akoplatz … Last Minute für die Menschheit

Veranstaltung am 21.10.2008 / Lach- und Schieß-Gesellschaft

Last Minute

High Noon im Himmel: Die Apokatz … nein Akoplatz … Atzoka … jedenfalls „dieser Weltuntergang“, an dessen Aussprache Erzengel Gabriel (Thomas Wenke) konsequent scheitert, steht unmittelbar bevor. Nur noch 14 Tage wird es dauern, bis ein hausgemachter Klimakollaps das Ende der Menschheit besiegeln wird. Gott selbst (Ecco Meineke) scheint sich in burn-out-verdächtiger Abstumpfung damit abgefunden zu haben; Gabriel aber hat noch Elan und es gelingt ihm schließlich, beim Chef eine allerletzte warnende Verkündigung herauszuquengeln: Falls es gelingt, binnen Zwei-Wochen-Frist die Botschaft „Du bist Frei“ unter der gesamten Menschheit zu verbreiten, wird deren aufklärerische Wirkung den Untergang noch einmal abwenden.

Eigentlich ganz einfach – meint auch die überraschte Verkündungsadressatin Alex Erdmann (Sonja Kling). Schließlich hat sie als Bewährungshelferin auch schon Bankräuber überzeugen können, die GEZ-Gebühr zu bezahlen. Da sollte sich doch auch die Freiheitsbotschaft im öffentlichen Bewusstsein verankern lassen. Allerdings hat sie nicht mit der Skrupellosigkeit, Gier, Trägheit und Eitelkeit gerechnet, die ihr auf ihrem Freiheitsverkündigungs-Feldzug überall entgegen schlagen. Und ebenso nicht mit ihren eigenen kleinen Schwächen …

Mit dem faustischen Prolog im Himmel und dem anschließenden irdischen Spektakel beibt das Lach&Schieß-Ensemble auch im neuen Programm „Last Minute“ seinem Konzept treu, auf der Kabarettbühne Theater zu spielen und im Verlauf der Handlung quasi nebenbei Spitzen in Richtung Politik und Gesellschaft auszuteilen. Das in Zusammenarbeit mit dem Passauer Kabarettisten Manfred Kempinger entstandene und mit Regisseur Michael Ehnert erarbeitete Kabarett-Schauspiel ist den drei Akteuren geschickt auf den Leib geschneidert.

So könne alle drei brillieren: Sonja Kling hält mit darstellerischer Kraft in der durchgängigen Rolle der Alex Erdmann den Handlungstrang zusammen. Der artistisch agierende Ecco Meineke und der unschulds-maskiert durchtriebene Thomas Wenke wechseln neben ihren Hauptaufgaben als Erz- und Racheengel durch reihenweise Neben- und Ganzdaneben-Rollen. Affektierte Starfriseure, Betonköpfige und -füßige Mafiosi, sächselnde Müllverbrenner, affenartige Liftboys, morbide Medienmacher, Berliner Bürokraten und mit ihren religionspezifischen Grausamkeiten protzende Geistliche stolpern als absurde Figuren doch immer schlüssig durchs Geschehen. Und nageln die großen wie kleinen Sünden der Menschheit fest, ohne dabei zwanghaft belehrend zu wirken.

Nur konsequent also, dass auch der Schluss weder in eine melodramatische letztminütige Rettung noch in eine moraltriefende Apokla..dingsbums steuert. Wie genau das gelingt, wird hier nicht verraten – schließlich lohnt es sich ganz ungeheuer, es selbst herauszufinden.