Apokatz … Akoplatz … Last Minute für die Menschheit

Veranstaltung am 21.10.2008 / Lach- und Schieß-Gesellschaft

Last Minute

High Noon im Himmel: Die Apokatz … nein Akoplatz … Atzoka … jedenfalls „dieser Weltuntergang“, an dessen Aussprache Erzengel Gabriel (Thomas Wenke) konsequent scheitert, steht unmittelbar bevor. Nur noch 14 Tage wird es dauern, bis ein hausgemachter Klimakollaps das Ende der Menschheit besiegeln wird. Gott selbst (Ecco Meineke) scheint sich in burn-out-verdächtiger Abstumpfung damit abgefunden zu haben; Gabriel aber hat noch Elan und es gelingt ihm schließlich, beim Chef eine allerletzte warnende Verkündigung herauszuquengeln: Falls es gelingt, binnen Zwei-Wochen-Frist die Botschaft „Du bist Frei“ unter der gesamten Menschheit zu verbreiten, wird deren aufklärerische Wirkung den Untergang noch einmal abwenden.

Eigentlich ganz einfach – meint auch die überraschte Verkündungsadressatin Alex Erdmann (Sonja Kling). Schließlich hat sie als Bewährungshelferin auch schon Bankräuber überzeugen können, die GEZ-Gebühr zu bezahlen. Da sollte sich doch auch die Freiheitsbotschaft im öffentlichen Bewusstsein verankern lassen. Allerdings hat sie nicht mit der Skrupellosigkeit, Gier, Trägheit und Eitelkeit gerechnet, die ihr auf ihrem Freiheitsverkündigungs-Feldzug überall entgegen schlagen. Und ebenso nicht mit ihren eigenen kleinen Schwächen …

Mit dem faustischen Prolog im Himmel und dem anschließenden irdischen Spektakel beibt das Lach&Schieß-Ensemble auch im neuen Programm „Last Minute“ seinem Konzept treu, auf der Kabarettbühne Theater zu spielen und im Verlauf der Handlung quasi nebenbei Spitzen in Richtung Politik und Gesellschaft auszuteilen. Das in Zusammenarbeit mit dem Passauer Kabarettisten Manfred Kempinger entstandene und mit Regisseur Michael Ehnert erarbeitete Kabarett-Schauspiel ist den drei Akteuren geschickt auf den Leib geschneidert.

So könne alle drei brillieren: Sonja Kling hält mit darstellerischer Kraft in der durchgängigen Rolle der Alex Erdmann den Handlungstrang zusammen. Der artistisch agierende Ecco Meineke und der unschulds-maskiert durchtriebene Thomas Wenke wechseln neben ihren Hauptaufgaben als Erz- und Racheengel durch reihenweise Neben- und Ganzdaneben-Rollen. Affektierte Starfriseure, Betonköpfige und -füßige Mafiosi, sächselnde Müllverbrenner, affenartige Liftboys, morbide Medienmacher, Berliner Bürokraten und mit ihren religionspezifischen Grausamkeiten protzende Geistliche stolpern als absurde Figuren doch immer schlüssig durchs Geschehen. Und nageln die großen wie kleinen Sünden der Menschheit fest, ohne dabei zwanghaft belehrend zu wirken.

Nur konsequent also, dass auch der Schluss weder in eine melodramatische letztminütige Rettung noch in eine moraltriefende Apokla..dingsbums steuert. Wie genau das gelingt, wird hier nicht verraten – schließlich lohnt es sich ganz ungeheuer, es selbst herauszufinden.

Endlich: Sven Kemmlers große Beglückung

Veranstaltung am 16.9.2008 / Lach- und Schieß-Gesellschaft

Sven Kemmler: Endlich

… irgendwann muss es doch endlich gelingen, glücklich zu sein?! Sven Kemmler stellt sich in seinem zweiten Kabarett-Soloprogramm „Endlich“ einer ganz großen Aufgabe: Er will beweisen, dass das Glück erlernbar ist. Die freundlich begrüßten „Seminarteilnehmer“ in der Lach&Schieß bekommen zu diesem Zweck auch gleich einen minutiös festgelegten Flipchart-Fahrplan präsentiert.

Den soll zunächst der kitteltragende „Experte“ abarbeiten, der mit forscher Selbstgewissheit antritt, sich dann aber schnell immer hoffnungsloser zwischen Hausfrauenweisheiten und der Quantenmechanik verheddert. Den Kontrast dazu bildet die ins Diktiergerät reflektierte Lebensbeichte eines Auftragskillers, der bei aller abstoßender Zynik doch Sympathie weckt, weil zumindest er offenbar etwas von dem versteht, was er tut.

Als Reaktion auf eine verpatzte telefonische Menübestellung springt dann noch ein säbelschwingender Sushi-Samurai auf die Bühne. Und demontiert furios die ach so populäre Glücksuche in der verklärten (weil nicht verstandenen) Exotik, indem er mit außuferndem Pathos einen Heldenmythos zelebriert, der sich bei genauem Hinhören als die Geschichte vom Räuber Hotzenplotz herausstellt.

Im sich virtuos immer weiter steigernden Tumult ist doch immer klarer zu erkennen, dass Sven Kemmler den neurotische Empathie-Eunuchen, den herzlosen Lebensbeender und den heldenmütigen Kasperle-Verklärer in ihrem verzweifelten Scheitern klug auf ein ein großes Ziel hin steuert: Alle drei hauen bei ihren Versuchen, das Glück in Worten und Bildern fest zu nageln so oft von allen Seiten virtuos daneben, dass inmitten des zertrampelten Terrains schließlich eine Silhouette des Glücks stehen bleibt, die jeder Betrachter mit seinen ganz eigenen Vorstellungen füllen kann.

Von der Bühne spühen derweil unentwegt Wortwitz und Ideen in solchem Tempo, dass mitunter kaum noch Platz für das Gelächter bleibt. Und zwischendrinn sogar eine zarte Poesie, in der endlich eben auch als Vergänglichkeit begreifbar wird.

Neben inhaltlicher Stärke hat Endlich auch dramatische Qualität: Die Figuren sind interessant gestaltet, differenziert dargestellt, entwickeln sich und werden im Verlauf des Abends immer stärker miteinander verwoben. Bühnenbild, Licht, Musik und Requisiten sind sparsam, aber bewusst und wirkungsvoll eingesetzt.

Das alles ist sicher auch ein Verdienst von Eva-Katrin Herrmann (bitte nicht mit der fast namensgleichen dogmatischen Herd-Hüterin zu verwechseln), die nach langer Karriere als Schauspielerin in diesem Programm ihr Regie-Debut gibt.

Gemeinsam gelingt es Kemmler und Hermann also, das große Thema Glück zwischen brachialen Figuren doch ganz zärtlich und poetisch in die Zange zu nehmen. Das ist ebenso klug wie komisch – und macht ganz augenscheinlich das Publikum weit über das Ende der Vorstellung hinaus glücklich. Quod erat demonstrandum.

„Wenn alle Stricke reißen …

Marc Uwe Kling, Pressefoto… kann man sich nicht mal mehr aufhängen“. Folgert Marc-Uwe Kling ebenso logisch wie erbarmungslos im Titel seines ersten Kabarett-Solos. Gesehen habe ich es in der Münchner Lach & Schieß-Gesellschaft (Weitere Termine hier. ).

Ich kenne Kling bisher aus dem Poetry Slam, wo er als zweifacher deutschsprachiger Slam-Champion schon zu Lebzeiten Legende geworden ist.

Wie der Titel schon andeutet, spannt Marc-Uwe einen weiten Bogen der Zerreißproben: Er beginnt beim Abendessen unterm Weihnachtsbaum (und dessen Wiederholung als digitale Aufzeichnung am 1. Feiertag), zieht durch die verschleckert-gleichgeschalteten deutschen Fußgängerzonen hinauf in die Vorstandsetagen und Parlamente, klopft einmal kurz bei Gott selbst an und kehrt dann wieder nach Hause zurück.

Unterwegs trifft er auf Papas neue Digitalkamera, erforscht die Generation Praktikum, kämpft gegen intelligente Maschinen (und deren Lizenzvereinbarungen), erörtert die bundespräsidiale Order nach „Vorfahrt für Arbeitsplätze“ im Sinne der Straßenverkehrsordnung und tröstet sexuell ausgebeutete Ausbeuter-Töchter. Dabei stellt er als unerbittlicher Beobachter und Radikalmoralist vom Familien- bis zum Staatsoberhaupt jedwede Autorität in Frage – inklusive seiner eigenen auf der Bühne. Es entsteht so das gleichermaßen bittere und doch brüllend komische Bild einer Welt, in der der „Fortschritt“ im Wesentlichen den Verlust aller Orientierung und Verlässlichkeit bedeutet.

Bei alledem gelingt ihm das Kunststück, die Welten von Weihnachtsbaum, Wirtschaftslenker und Wahlversprecher immer miteinander verwoben zu halten. Das beweist zum einen elegant, wie sehr das private politisch ist – und das politische ebenso privat. Vor allem aber erspart es das anstrengend-selbstgerechte Auf-Die-Da-Oben-Zeigen anderer Weltverbesserer. Klings Zuhörer entdecken den Untergang des Abendlandes gleich in der eigenen Wohnung. Oder sogar im eigenen Kopf.

Ebenso abwechslungsreich wie Klings Themen ist sein Vortrag: Zwischen freien Moderationen und in Erzählerrolle vorgetragenen Prosatexten oder Gedichten spielt er quasi nebenbei noch Klavier und Gitarre zur Begleitung seiner Lieder, die gekonnt zwischen Jazz, Gospel und Liedermacherei wechseln.

Im Kontrast zu dieser Vielseitigkeit ist seine Bühnenfigur ruhend, beinahe statisch: Angestrengte Hysterie gibt es ebenso wenig wie irgendeine andere albern überzogene Darstellung. Die Lieder und Texte haben so etwas bei ihrer sprachlichen Stärke und Versiertheit auch gar nicht nötig. Einziges alter ego Klings ist die Figur seines „Mitbewohners“, eines latent gewaltbereiten Kängurus mit erklärt kommunistischer Weltanschauung, das ihn aus all seinen Geschichten herausboxt, die allein mit Diplomatie nicht mehr aufzulösen sind.

Insgesamt entsteht ein höchst intelligenter wie unterhaltender Abend aus privat-politisch-poetischem Kabarett mit ganz unverbrauchten Themen und Stilen. An dessen Ende Marc-Uwe Kling sein Publikum dann mit versöhnlichen Tönen nach Hause entlassen möchte, indem er anhand einer halb verwesten Fischkonserve aus dem Kühlschrank singend die Einsicht vermittelt, dass es Wesen gibt, denen noch übeler mitgespielt wurde als der geschundenen Menschheit.

Das Publikum wird sich auch prompt seiner privilegierten Situation bewusst und scheint jegliches Interesse am Heimgehen verloren zu haben. So muss nach einem Zugabenmarathon das Ende der Veranstaltung schließlich zwangsweise per Saalbeleuchtung herbeigeführt werden. Immerhin können sich die ganz unersättlichen am Ausgang mit einer CD des Programms trösten.