Der Nutzen der Losigkeit: Sven Kemmlers „Die 36 Kammern der Nutzlosigkeit“

Leistungsgesteigerte Deos,  steueroptimierte Salami und just-in-time-produzierte Joghurts, die statt nur zu sättigen auch gleich noch den Enzymhaushalt aufräumen: Im effizienzgetrimmten Deutschland des Jahres 2013 ist die Nutzlosigkeit zur akut bedrohten Spezies geworden. Kein Wunder also, dass Sven Kemmler ins geheimnisvolle Kloster eines fernen Landes aufbrechen muss, um das Nutzlose in seiner ganzen zwecklosen Breite zu erlernen. Dank Vorqualifikation als Kabarettist wird er dort auch sofort als Novize akzeptiert und durchläuft auf der Bühne der Münchner Lach- und Schießgesellschaft im erbarmungslos sinnlosen, aber titelstiftenden Parcours   „Die 36 Kammern der Nutzlosigkeit“.

Schon der Titel von Svens neuem Soloabend weckt Assoziationen an einen einschlägigen Kung-Fu-Epos der späten Siebziger und Novize „Seven“ füttert dieses Klischee, indem er im mönchskuttigen Hotelbademantel durch den Abend schlurft und mit shaolinesker Kung-Fu-Rhetorik um sich schlägt.

Unerbittlicher Lehrmeister bei der Initiation in die hohe Kunst der prokrastinativen Phrasen­drescherei  ist ihm dabei sein eigenes Kloster-Tagebuch, das latent gegen den Autor aufbegehrt und sich mit immer neuen Grätschen und Kontern dagegen wehrt, einfach nur friedlich auf der Bühne vorgelesen zu werden. So  führt der vorzügliche Kemmlersche Wortwitz in Mönch und Buch einen atemlosen Schaukampf gegen sich selbst, bei dem als Kollateralschäden eine ganze Riege grenzdebiler literarischer Gestalten in der Bandbreite von Kapitän Ahab bis zur Biene Maja auf die Bretter geworfen wird.

Pausenlos prasseln die Seitenhiebe und Fuß(noten)tritte, bis das krawallgebürstete Tagebuch zynisch feststellt, dass der ganze Abend schon deshalb gescheitert sei, weil nicht eine einzige Frau vorkam. (Maja zählt offenbar nicht …)  Und dann lädt es Seven wieder dort ab, wo alles begann: In einer angeranzten Boazn  – dem wohl letzten Asyl, das den Jüngern der Nutzlosigkeit in München noch geblieben ist.

Fazit: Kemmlers Solo verweigert sich konsequent jedem höheren Sinn und allen etablierten kabarettistischen Formen. Und ist doch – was schon die Reaktion des Publikums beweist –  ununterbrochen ein formlos-sinnloses Vergnügen. Womit also die gediegene Nutzlosigkeit triumphiert – und sich dadurch im selben Moment selbst widerlegt: Das Nutzlose nützt. Wer sich selbst überzeugen möchte, findet weitere Termine hier:

http://www.sven-kemmler.de/termine/