International-spektakuläre Starpoeten: Poetry Slam im Substanz

Veranstaltung am 12. 10. 2008 – Substanz Poetry Slam, München.

„Internationale Starbesetzung“, „Europas größter Poetry Slam“, „spektakuläre Poeten aus dem In- und Ausland“ – die Veranstalter des Substanz Poetry-Slams in München halten sich in ihren Ankündigungen traditionell nie zurück. Halten dieselben dann aber ebenso konsequent auch immer wieder ein.

Das Größheitsversprechen wird schon vor dem ersten Wort auf der Bühne mit einer gigantischen Wartschlange auf der Straße eingelöst, die zusammengefaltet so gerade eben ins Substanz hineinpasst. Ich habe diesmal eine tragfähige Entschuldigung, mich vorbei zu mogeln: Ich bin mal wieder in den Lostopf der Local Slammer geworfen.

In banger Erwartung eines intenational größten Spektakels habe ich zwei Szenarien (Krachlyrik/Flüsterprosa) vorbereitet. Und die Absicht, auf der Bühne kontextsensitiv zu entscheiden. Allerdings wird mein Zettelchen dann gleich als allererstes aus dem Topf geangelt und ich stehe nach mehrminütigem Rudern durch die Menge vollkommen kontextfrei am Mikrofon. Dort entscheide ich mich für die „Stimmungsschwankung“ (lyrik, laut), meine selbstreflexive Publikumsbeschimpfung.

„Die hier hinten waren echt ein Bisschen sauer …“ bekomme ich als Kompliment nach der Rückkehr zu hören. Aber egal. Im Slam gilt schließlich: Früher Vogel weckt den Wurm. (Der dann von den Spätaufstehern, bzw. -tretern gefressen wird.)

Für die erste Dosis Internationalität ist die Schweizerin Daniela Dill zuständig. Ich beginne, während ihrer Blümchen-Bienchen-Herzchen-Schmerzchen-Ballade über einen Trivialreim-Sensor für Sprinkleranlagen nachzudenken, der bei wiederholter Herz-Schmerz-Verversung großzügig kaltes Wasser auf der Bühne versprüht. Der ist aber noch nicht erfunden und so gibt es diesmal nur feuchte Augen.

Begeistern kann mich anschließend Ana Ryue, die eine zwischen Verzweiflung und Hoffnung schwankende Geschichte von den gesichtslosen Gestalten erzählt, die ihr tagtäglich begegnen. Und die ihre große Chance zur Menschwerdung ebenso täglich aus Trägheit und Bequemlichkeit verpassen.

Den Rundenabschluss macht schließlich Life-a-Holic Bumilllo mit seiner Enthüllung des Mantras einer geheimnisvollen Sekte vor der Universität: „Süddeutsche Zeitung kostenlos“. Der Saal tobt in voller Länge und Breite – und tut das bei der Abstimmung gleich noch ein zweites Mal. Jede Debatte um den Rundensieger erübrigt sich.

Direkt nach der Pause platzt die lyrische Bombe: Wehwalt Koslovsky und Frank Klötgen treten als „K&K leichtvers.stört“ im Team an und verpassen Schillers Taucher eine radikalpathetische Runderneuerung: „Der Täucher“ ersetzt den heldenverschlingenden Ozean durch einen pudelverdauenden brackigen Dorfteich, hat dort aber dank Klötgen & Koslovskys erbarmungslosen Stimm- und Körpereinsatz mehr Sturm & Drang als Schiller selbst lieb gewesen sein dürfte.

Was kann da eigentlich noch kommen? Ach ja: Zunächst Boshi-San mit dem durchaus klugen „Bekenntnis eines deutschen Rappers“, dann Diana Rodger (England) mit einem wirklich wild-pathetischen „Love Poem“. Und im Anschluss Volker Keidel, bei dessen absurder Weltverbesserungsprosa mit „Herbal Essences“ Shampoo sich der Saal vor Lachen kaum auf den Beinen halten kann. Stefan Abermann schwört zum Abschluss die Slam-Gemeinde auf den Datenschutz ein und erklärt seinen Namen zu „Open Source“ – auf dass alle Anmeldungen in Zukunft nur noch auf den Namen „Abermann“ lauten.

Beim Aplauslauschen setzt sich das Balladendoppel knapp gegen den Shampoophilosophen Keidel durch. K&K vs. Bumillo lautet also die Aufstellung des Finales. K&K knöpft sich mit „Der Fister“ einen weiteren Klassiker vor und prollt mit Dr. Faust durchs Brandenburger Tor, der Life-a-Holic beschwört München empathisch als „Geldstadt mit Scherz“. Tumult. Ekstase. Radau. Die Ermittlung eines Siegers wird aufgegeben.

Neuer Meister für den Kiez

Veranstaltung am 20.9.2008 / Kiezmeisterschaft, München

Die Kiezmeisterschaft an jedem dritten Samstag eines Monats ist mein Slam-Jour-Fixe. Aber gerade deshalb auch mein Angstslam. Denn ich habe hier so ziemlich jede Zeile meiner gesammelten Werke schon einmal vorgetragen. Und Veranstalter Ko Bylanzky wacht eisern über das Verbot von Wiederholungen. Weshalb ich die dritten Samstagnachmittage jedes Monats regelmäßig am Schreibtisch verbringe, um dann mit einem Werk anzutreten, bei dem die Tinte noch feucht – pardon, besser: der Toner noch warm – ist. Diesmal muss ich aus Gründen des Fertigstellungstermins sogar meinen Wochenendeinkauf (Brot, Käse, Milch) mit ins Stragula nehmen – aber egal: ist ja alles für die Dichtkunst.

Slamchef Bylanzky lässt sich diesmal entschuldigen, wird aber mit Dichter Heiner Lange und Life-a-Holic Christian Bumeder (aka Bumillo) durch zwei einschlägig vorbeslammte vertreten. Die beiden machen ihre Sache gut: Energetische Anmoderationen und souveräne Abwicklung der Bewertung verschaffen jedem der zwölf Dichter eine aufmerksame Atmosphäre im zwischendurch (wiesnbedingt) etwas unruhigen Publikum.

Den ersten Höhepunkt des Abends schafft gleich am zweiten Startplatz Sonja Popp. Die junge (vermutete) Schülerin schildert ihre Erlebnisse aus Großmamas „Umerziehungslager“ zur perfekten Haus- und Ehefrau. Originell erzählt und gespickt mit den Hausfrauentips der vorletzten Generation („Siehst Du Kalk auf Fliesen sprießen, gleich mit Essig übergießen“) stellt sie ganz unaufdringlich famililäre Rollen und Abhängigkeiten zur Diskussion. Die Person auf der Bühne – ihre eigene offenbar – passt haargenau zu Rolle und Stil. Perfekt. Schade, dass die Jury am Anfang des Abends offenbar noch nicht ganz in ein konsistentes Bewertungsschema gefunden hat.

Benedikt Halkel zieht im Folgenden mit seiner stillen Poesie die Wertungen nach oben. Muss sich aber gleich Wolfgang Tischer geschlagen geben, der mit dem ganz neuen Genre der Suffix-Poesie antritt. In seiner Chat-Korrespondenz mit der Chinesischen Freundin Ling erklärt er “ … ich habe dich Lieb, Ling“, mutiert dann aber zum “ … dann werde ich wüst, Ling“.

Der Begeisterungs-Gipfel der Jury ist jedoch erst direkt nach der Pause mit Jakob Nacken erreicht. Der dekliniert nachts im Bett aus Anlass seines unter der schlafenden Freundin eingeschlafenen Arms sämtliche großen Fragen der Paarbeziehung durch. Denkt, spricht und agiert dabei so überzeugend authentisch wie es sich für sein Berufsbild aus Theaterpädagogen, Darsteller und Improspieler wohl gehört. Ganz großes Theater, das den restlichen Abend nicht mehr zu toppen ist.

Im Schatten dieses Gipfels tummeln sich anschließend Sebastion Stopfer mit seiner apokalyptischen Deutschland-Science-Fiction, Christoph Kastenbauer mit der stillen, aber doch schonungslosen Betrachtung verfahrener Familienverhältnisse, Manni Eder, André Jahn – und direkt im Anschluss an Jakob auch ich selbst mit meinem Geheimtip, was nach Öl-, IT- und Immo-Krise der nächste Börsen-Hype sein wird: Gedichte (zumindest so lange, bis auch die Sprech-Blase platzt).

Für mich reicht es knapp ins Finale, wo ich als dritter gleich zum Auftakt mit Pantherversteher Rainer Maria M. abrechne. Suffix-Dichter Tischer erklärt dann deutsche Vor- und Städtenamen, ernet aber mehr entsetztes Stöhnen als Begeisterung. Freie Bahn also für Jakob, der mit einer sprachlich schönen und stark vorgetragenen Frühlingsode an das Leben die Begeisterung klar und verdient auf seiner Seite hat. Glückwunsch dem neuem Kiezmeister.

Bänkelsänger 2008

Veranstaltung am 13.9.2008 / Anderart-Festival, Odeonsplatz, München

Laubblaeser

„Typisch München? Typisch anders!“ Das „AnderArt-Festival“ soll im Rahmen des Münchner Stadtgeburtstags auf dem Odeonsplatz eine Open-Air-Bühne für die kulturelle Vielfalt der Stadt bieten. Auch die Slam-Poesie soll da ein paar Gedanken zu Stadtgeschichte und Migration beitragen.

„Bei freiem Eintritt und bei jedem Wetter“ – das waren dabei die beiden wichtigsten Werbeargumente des Münchner Kulturreferats. Leider erweist sicht nur das erste als wirklich zugkräftig. Der Münchner Sommer verweigert sich nämlich ebenso plötzlich wie vollständig und katapultiert die gefühlte Jahreszeit auf etwa Ende Oktober nach vorn. Die riesengroße offene Bühne tut das ihre dazu: „Poesie im Gefrierfach“ wäre ein passender Konzept-Titel gewesen. Die Veranstalter haben sich aber entschlossen, das einstündige Slam-Poetry-Programm unter dem Arbeitstitel „Bänkelsänger 2008“ anzukündigen.

DJ Rayl Patzak und MC Ko Bylanzky leisten folglich erst einmal ein wenig Aufklärungsarbeit. Anschließend wird Sturm-und-Slam-Dichter Bumillo losgelassen, der wortgewaltig erklärt, wie die Zuagroasten an München erst erstaunen, dann verzweifeln und schließlich aber doch ankommen können. Unglaublich, wie viele Ideen aus diesem erklärten „Live-a-holic“ heraussprudeln. Vor allem, wenn man bedenkt, dass er gegenwärtig auch an seiner Magisterarbeit im Fach Theaterwissenschaften schreibt. Ich würde da innerhalb kürzester Zeit in der Wortschatz-Erschöpfung steckenbleiben.

Dann darf ich ran. Die Aussicht von der Bühne direkt vor der Feldherrnhalle auf die Leopoldstraße ist atemberaubend. Ich bekomme irgendwann doch wieder Luft und trage zunächst mit „Der letzte Freie“ meine Ballade über die Mikromigartion der Einkaufspendler und deren Verdrängungswettbewerb um den letzten freien Parkplatz am Stachus vor. Es folgt die Beziehungsbilanz mit meiner Freundin München. Zum Schluss muss der Laubbläser ran, der dank reichlicher Verstärkung auf dem Odeonsplatz eine ungeheure Akustik entwickelt.

Dritter in der Bänkelsänger-2008-Runde ist Heiner Lange; der wird zunächst „Der kleine Dichter, der die Stadt schön machen will“, um dann als „Backpacker“ mit den globetrotteligen Rucksacktouristen der Lonely-Planet-Sekte abzurechnen.

Als besonderes Kunst-Crossover-Konzept tobt sich Graffiti-Künstler Robert Kaltenhäuser während der Performances live mit der Spraydose auf der Bühne aus. Eine – wie sich schnell herausstellt – grandiose Idee, denn zum einen hilft die großflächige Malerei, den gigantisch großen Bühnenraum zu füllen, in dem ein einzelner Poet sonst schnell verloren wirken würde. Vor allem aber hat sich Robert mit ebenso viel Aufwand wie Ideen auf die Texte vorbereitet. So zaubert er neben seinen spontanen Formen auch vorbereitete Elemente auf die Leinwand. Bumillo bekommt eine übergroße „Süddeutsche Zeitung“, die genau in der Choreografie seines Textes aufgeblättert wird. Bei mir gibt es eine fast schon daumenkinoartige Laubbläser-Bildfolge, von der hinterher das ganze Publikum schwärmt. Ich selber bekomme auf der Bühne in meiner Gebläse-Verrohung leider überhaupt nichts davon mit.

Kongeniales Meisterstück der Wortmalerei wird aber zum Schluss die Lange-Kaltenhäuser-Performance von „Mal mal“ – Heiner Langes dadaistische Annäherung an die Bob-Ross-Malerei, in deren Verlauf jedes der Bilder aus dem Text Sekunden später auf der Leinwand zu sehen ist.

Es gibt einen netten Ausklang bei aus öffentlichen Mitteln subventioniertem Bier inmitten des wirklich multikulturellen Ambientes aus asiatischem Essen, italienischer Architektur, afrikanischen Rhythmen und sibirischem Klima. Vielen Dank also an das Kulturreferat als Veranstalter und an dessen hauseigene Techniker für eine ganz außergewöhnlich poesietaugliche Großbeschallung – vor allem aber an das frost- und wasserabweisende Publikum.