Gipfel & Gedichte: Der erste Tag des SLAM2008

Wow, jetzt ist es wieder soweit: Die Meisterschaft aller Deutsch sprechenden Slams um den Champion aller Slam Champions wird ausgetragen. Für alle mittendrin ist das ganze aber weniger ein Wettbewerb, sondern vor allem ein Familientreffen der Slamily. Treffpunkt in diesem Jahr: Der Züricher Schiffbau, einst Werfthalle und heute als Industriedenkmal Spielort des Züricher Schauspielhauses.

Meine Rechtfertigung mitzufeiern ist die Münchner Kiezmeisterschaft, die ich gemeinsam mit Heiner Lange vertrete.

Organisatorisch haben die Züricher Familienhäupter ganze Arbeit geleistet; gleich in der ersten Stunde erhalte ich nicht weniger als fünf Teilnehmerausweise:

  • Ein SLAM2008-Button zum Erwerb subventionierter Getränke (überlebenswichtig bei den Züricher Getränkepreisen)
  • Ein SLAM2008-Armband zum Eintritt in die Veranstaltungen
  • Ein SLAM2008-Dauerticket zur Nutzung der Stadtbuslinie 33 (aber nur der …)
  • Ein SLAM2008-Namensschild zur Pflege sozialer Kontakte
  • Eine Chipkarte der Jugendherberge

So ausgerüstet öffnen sich alle Flaschen und Türen und ich kann vor meinem eigenen Dichter-Kampfeinsatz erst noch ein wenig Schlachtenbummler spielen.

Der Weg zum Champ aller Champs beginnt in einer der zwölf Einzel-Vorrunden, die aus jeweils zwölf Kandidaten je vier für eines der Halbfinals qualifizieren. Gleich zwei meiner Münchner Mitdichter hat es in die Vorrunde 3 im Moods-Jazzclub gelost. Eine der drei Runden, die um 20 Uhr den Wettbewerb eröffnen. Und leider allesamt ohne Sacrifice Poet ausgetragen werden.

Der erste Wettbewerber muss also einen Kaltstart bei undefinierter Stimmung und Erwartung im Publikum hinlegen. Und weil der erste der Runde 3 den Slam-Motor doch nicht richtig zum Laufen bekommt, muss auch Rundenzweite Sarah Hakenberg noch schwer kämpfen, den Saal in Fahrt zu bekommen. Ihre „Geschichte, die ich morgen schreiben werde“, landauf landab slamerprobt, kommt gut an und wird dann dankbar, aber leider nicht enthusiastisch gefeiert.

Kiezkollege Heiner Lange hat es einige Startplätze später dann leichter. Bei seiner „Backpacker“-Tour durch den Kulturinzest der lonely-planet-gläubigen Globetrottel folgen ihm alle Zuhörer schon mit mehr Begeisterung. Oder besser: fast alle. Denn als die Notentafeln der Jury hochgereckt werden, reicht sind Bewertungen von 9,3 bis 3,5 Punkte zu lesen. Ist da ein Jünger der Lonely-Planet-Sekte
nach Zürich getrottet?

Weiter geht es mit viel Abwechslung und Überraschungen. Auf der Bühne ebenso wie auf den Notentafeln. Annika Blanke hat den Mut, in der Schweiz vom Heavy-Metal-Festival in der ostfriesischen Provinz zu berichten und landet nach einem etwas gehetzt wirkenden Vortrag, der schließlich vom Moderator abgebrochen wird, weit oben in der Wertung. Die verschiedenen True- Trash- Black- und Emo-Fraktionen dieses Musikgenres scheinen auch in Zürich bekannt zu sein. André Herrmann Punktet mit der Leidensgeschichte eines von der Arbeitsagentur zwangsverpflichteten Weihnachtsmannes aber noch etwas höher.

Empfundener Höhepunkt ist dann Remo Rickenbacher, der sich mit den Mantras sämtlichen Werbefloskeln des letzten Jahres autosugestiv an die Disco-Angebetete heranarbeitet. Eine perfekte Kongruenz der der Figur auf der Bühne mit der im Text, ein wenig Konsumkritik, eine ordentliche Bühnenpräsenz, ein Kleinwenig Lokalkolorit, eine Prise Zotigkeit, wenn der Werbegedopte am Ende in einer Pfütze aus Erbrochenem ausgleitet und dann auch noch das unverwüstliche Mann-begehrt-Frau-in-der-Disco-aber-traut-sich-nicht-Thema: Das alles bringt den Saal zum Toben und reicht in der Summe am Ende für den Rundensieg.

Vor diesem Ende zeigt aber noch einmal einer, dass es auch ohne Er-sucht-Sie und Exkremente geht: Gauner begegnet auf einer Zugfahrt sich selbst, schnüffelt vorsichtig durch Regale mit Erinnerungen, Verletzungen und Verdrängtem – beschließt dann aber, das alles zurück zu lassen um nach vorn zu blicken. Eine schöne Sprache, ein freier, ruhender Vortrag und ein bedeutsames, aber unverbrauchtes Thema – das weiss auch die Jury zu honorieren, die ihn Punktgleich mit André auf den geteilten dritten Platz hebt. Was dann im letzten Augenblick Nominationsmünchnerin Sarah auf den undankbaren fünften schiebt.

So werden Remo Rickenbacher, Heiner Lange, André Herrmann und Gauner im Halbfinale weiterkämpfen. Sarah aber wird ganz bestimmt morgen irgendwo eine ganz andere Geschichte schreiben.