Westend ist? Kiez im Urlaub.
Veranstaltung am 6. 09. 2008 – Westend ist Kiez, Stragula, München.
Verflixt, was soll man denn als Künstler im Sommer für sein Publikum tun? Ihm hinterherreisen? Oder sich selbst verzweifelt ins Nichtstun stürzen? Am gewittrigen Lesebühnen-Samstag befindet sich um sieben Uhr niemand in der Realwirtschaft Stragula, der für seine Anwesenheit nicht bezahlt würde. So ein Eindruck weckt die in jedem Literaten schlummernde große Sinnfrage auf, die erst einmal mit einem Menü aus der unterforderten Küche wieder durch träge Sattheit beruhigt werden muss.
Dann aber verdunkelt sich der Himmel und die Stimmung hellt auf: Das Urlaubsbewährte Last-Minute-Konzept scheint sich auch bei den Lesebühnengängern etabliert zu haben, und als gegen halb neun Volker Keidel erklärt, wie sehr das richtige Shampoo das ganze Leben verändern kann, ist von der Bühne aus zumindest kein unbesetzter Tisch mehr zu sehen.
Mit Volker, Fabian Siegismund, Felix Bonke und mir stehen diesmal nur vier Autoren auf der Bühne – aber Moderator Ko Bylanzky gelingt es, das Publikum mit dem Jetzt-noch-mehr-Inhalt-zum-gleichen-Preis-Slogan zu ködern: Wir treten alle dreimal an und steigern so die Anzahl der Geschichten von zehn auf zwölf.
Meine Lieblingsgeschichte aus der Zwölferrunde stammt von Felix Bonke: Ein von der avisierten Freundin mit ganz expliziter Begründung abgelehnter Charakter-Defizitär stolpert, angelockt von der „Wir ändern alles“ Werbung, in eine Änderungs-Schneiderei, um gleich einmal sein Leben ändern zu lassen. Die resultierenden Veränderungen sind wahrhaft dramatisch. Den Werbeslogan gibt es gleich um die Ecke tatsächlich, aber ich werde nach Felix‘ eindringlicher Warnung vorsichtig mit diesem Angabot umgehen.
Darüber hinaus lerne ich von Fabian, wie sehr der unvorsichtige Kauf von Toilettenpapier den Eindruck der Männlichkeit untergraben kann. Aber verflixt – die Lektion kommt knapp zu spät, denn ich habe wenige Stunden zuvor von der sorgfältigen Auswahl der Sorte bis zum unverüllten Heimtransport (mit Fahrradhelm) so ziemlich alles falsch gemacht. Ob das mit dem Mann-Sein bei mir je noch klappt?
Auch ohne Gedränge entsteht durchaus Stimmung im Saal – vor allem die in Stammtischstärke angereiste „Brigada Bavaria“ aus HSV-Fans in der Münchner Diaspora erzeugt auf der Bühne deutlich spürbare Rückmeldung.
Ich schwadroniere über meine durch Versicherungen ausgelöste Verunsicherung, polemisiere über die Urlaubsinstinkte und darf dann in Runde drei ein zweites Mal auf der Spielzeuggitarre den Isar-Grillern huldigen.
Um elf ist es dann vorbei, der Saal ist immer noch gefüllt und ich hatte den Eindruck, alle sind zufrieden heim gezogen.
Fotocredit: Sacha Storz, Westend ist Kiez