Wiesn-Wunden-Lecken

Veranstaltung am 06. 10. 2008 – Blickpunkt Spot Vereinsheim, München.

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Aus is! Die Zelte des Oktoberfests 2008 haben die letzten Freunde bierseeliger Gemütlichkeit ausgespien. Zeit, die Wunden aus dem zweiwöchigen Exzess zu lecken. Moderator Michi Sailer steht allen voran mit einer frisch genähten veritablen Platzwunde der Augenbraue auf der Bühne, an deren Entstehung er nur fragmentarische Erinnerung besitzt. Zusammen mit dem vom Tresenpersonal fürsorglich immer wieder frisch gefüllten Eisbeutel eine durchaus überzeugende Austaffierung für seine Schwabinger-Krawall-Geschichten.

Bevor er die erste verlesen darf, tobt als Kurzleihgabe aus dem Lustspielhaus Bülent Ceylan über die Bühne. Der spielt sehr lebendig und spontan mit den Deutsch-Türkischen-Klischeeverirrungen und legt dann noch einen furiosen „Bauchtanz“ hin. Ebenfalls mit viel Baucheinsatz setzen dann „Die Pertussis“ den Abend fort.

Moses Wolf greift dann wieder das Oktoberfest-Thema auf und gibt grantlerisch-grenzdebile Wiesn-Erinnerungen zum besten.

Ich selber habe nach acht Jahren des Wohnens im Epizentrum der Gemütlichkeit meine Lektionen gelernt (während der Festwochen im Geist um JEDEN Passanten einen Kreis mit dem Radius von dessen ausgestreckter Körperlänge ziehen und diesen weder betreten noch befahren) und bin ohne physische Blessuren davon gekommen. Dafür kann ich von türsteher-bewehrten Supermärkten und in unternehmerischer Eigeninitiative betriebenen Spontanbiergärten und Bedarfslatrinen im Oktoberfest-Erweiterungsgelände (vulgo: Vorgärten) berichten. Größte Publikumsresonanz erzeugt meine zweizeilige Spontanabrechnung als Kollateralschaden des Oktoberfestes:

Ey, ihr Bierzelt-Arschgesichter,
ihr seid dicht – doch ich bin Dichter!

Der Höhepunkt des Abends dann ganz zum Schluss: Tanztelegramm! Deren „Progressivpop im Dialekt“ (Selbstdefinition) ist melodisch eingängig und abwechslungsreich komponiert, klar und transparent abgemischt, mit musikalischer Perfektion vorgetragen – und greift im krassen Gegensatz zum üblichen Deutschpop-Brei in seinen Texten unverbrauchte Themen in origineller und poetischer Weise auf. Zu allem Überfluss scheint die Dreier-Boygroup auch noch unter allen weiblichen Gästen die Mutter- oder besser noch Schwiegermutter-Sehnsucht zu wecken. Tosender Applaus, Zwangszugabe. Allerbeste Stimmung.

Tief in der Nacht kehre ich glücklich mit dem Radl heim und freue mich auf der Hackerbrücke still daran, dass es zum ersten Mal seit zwei Wochen nicht mehr so aussieht, wie auf einem apokalyptischen Hieronymus-Bosch-Gemälde.

Leise knistert der Schaum

Veranstaltung am 28.9.2008 / Schwabinger Schaumschläger Show, Vereinsheim, München

München, Ende September: Das Oktoberfest tobt. Die Zelte sind voll. Die Lesebühnen leer.

Verena Richter und ich werden der familiären Runde vom Chef-Schaumschläger Jaromir Konecny deshalb gleich als preiswerte Nahbereichsautoren mit niedrigen Spesensätzen angekündigt.

Michael Sailer liest anschließend einen leisen Krawall, Moses Wolf wird als dirndl-angetörnter Bierzeltzecher laut und muss dann feststellen, dass die mit Mühe bestiegene „Achterbahn“ offenbar doch Teil des MVV ist. Jaromir singt vom Föhn. Ich fluche über Automaten. Und Verena fasst mit den „Gedanken einer Erbse im Gehörgang eines Mannes, der sich aus Langeweile Hülsenfrüchte in die Ohren steckt“ in wunderbarer Weise kurz die Erkenntnistheorie von Descartes bis zum Neopragmatismus zusammen.

Von den wenigen Gästen bleiben viele noch zum Plaudern. Prima.

Blickpunkt Rockt.

Veranstaltung am 8.9.2008 / Blickpunkt Spot, Vereinsheim, München

Vereinsheim-Logo Am Samstag noch banges Zittern um das Publikum – am Montag muss ich eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn schon wieder drängeln, um noch zum Blickpunkt Spot ins Vereinsheim hinein zu kommen.

Nach der rituellen Schwabinger-Krawall-Verlesung von Michi Sailer gelingt es Chris Böttcher, ein Duett von Carla Bruni und Nicolas Sarkozy ganz allein auf die Bühne zu bringen.

Dann klettert zu meiner persönlichen Freude mit Kathinka Budenkotte eine Weggefärtin des Poetry Slams auf die Bühne. Und erläutert in großen Bildern ihr Konzept des ultimativen Französichen Autorenfilms.

Julia Jahn, Vereinsheim-Bookerin und somit Barkeeperin des Blickpunkt-Kleinkunst-Cocktail-Mix hat just an diesem Abend Geburtstag. Ich stehe auf der Wunschliste; und weil sie unvorsichtiger Weise den schwarzen Panther als ihr Lieblingstier geoutet hat, darf dieser endlich einmal selbst zu Wort kommen und mit dem üblen Klischee abrechnen, dass ihm ein gewisser Rainer Maria R. vor geraumer Zeit schon angehängt hat. Moses Wolf setzt noch einen Julia-Rap obendrauf auf den Gabentisch.

Anschließend röhrt und säuselt Elli los und weckt den bis dato noch etwas verhaltenen Saal auf. Die Begeisterung – und die Styling-Verwandtschaft mit großen Teilen des Publikums – lassen vermuten, dass vor allem sie das urlaubs-untypische Gedränge im Saal zu verantworten hat.

Georg Koeniger trommelt virtuos ein Fußballspiel auf einem imaginären Schlagzeug. Den Abschluss macht Claus von Wagner mit einem Bühnen-Stopover auf dem Weg in den Scheibenwischer. Endlich wieder wirklich politisches Kabarett, das den StaatsträgerInnen mit Erinnerungen an deren unerfüllten eigenen Anspruch auf die Finger klopft, anstatt sie wie sonst so häufig nur als Klischeefiguren für überparteiischen Ulk zu benutzen. Bei alledem auch noch wirklich unbelehrend unterhaltsam, geistreich und in der Wirkung spontan – Kaktus, Beil, Stier und diverse andere Kleinkunsttrophäen sind zu Recht bei diesem Herrn abgeladen worden.

Fazit: Ein (wieder einmal) sehr bunter Abend mit gegen Ende kaum noch Luft zum Sprechen, in dem es diesmal alle Akteure ohne Gitarre etwas schwerer hatten als sonst.