Lebensbejahendes Todesprogramm: Endlich – Lieder für alle, die noch leben

Schauspieler, Regisseur und Autor, Liedermacher, Schwabinger Schaumschläger, Performancekünstler – Christoph Theussl (oder Theußl, niemand weiß bzw. weiss das so genau) ist ein vielseitiger Schöpfer und Darsteller. Sein neues Album jedoch, dass er am 18. September im Schwabinger Vereinsheim vorstellte, hat ein ganz klar gefasstes Thema: „Endlich – Lieder für alle, die noch leben“ macht konsequent da weiter, wo Pop und Schlager sonst ebenso zuverlässig aufhören. Der anfängliche Liebesrausch und die blühende Jugend interessieren nur am Rande, in Theussls Liedern geht es um das verblühende Leben und seinen unausweichlichen Abschluss: Den Tod.

Das klingt spontan beileibe nicht nach einer beglückenden Thematik. Welche aber gerade unter den Österreichern eine lange künstlerische Tradition hat – und weil es sich dort selbst in der Todes-Heimatstadt Wien doch offensichtlich vorzüglich leben lässt, scheint die Duzfreundschaft mit Gevatter Tod womöglich doch nicht unausweichlich in Trübsal und Depression zu zwingen. Wofür der Exil-Österreicher und Charakter-Wiener Theussl mit seinem Opus dann auch einen weiteren eindrucksvollen Beweis liefert.

Denn es gibt auf der Bühne kein Jammern und Wimmer zu hören: Wer allein dem Klang von Gitarre und Theussls runder und warmer Stimme lauscht, erlebt einen bunten Reigen ausgelassener und besinnlicher Stimmungen. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern und der Wiener Charme schmeichelt. Erst beim Begreifen der Texte bricht der morbide Inhalt durch: Da wird gemeuchelt, verbrannt, verschieden, vergraben und schnell, langsam oder sogar kerngesund gestorben; die Leiche im Kofferraum des Golf GTI wird immer aufs neue entdeckt und wieder vergessen. Selbst die beiden jungen Liebenden werden schon am Abend des ersten Kusses den Blick auf das unausweichliche Ableben richten. Und als Höhepunkt wird mit fröhlicher Melodie bedauert: Der schönste Tag zum Sterben, ist leider schon vorbei.

Klar geht es bei alledem auch einmal grob und zotig zur Sache, wenn etwa zwei Katzen ihr Lebensende in der Fritteuse finden. Aber das ist mehr ein Moment des Innehaltens, denn in der Summe nimmt Theussl den Tod bei aller Heiterkeit sehr ernst und spannt große Bögen, denen zu folgen alle Aufmerksamkeit erfordert. Zumal sehr viel von Theussls Botschaft gar nicht im Ausgesprochenen, sondern im Ausgelassenen zu finden ist.

Theussls Texte sind also große Kunst: Seine Sprache ist hintergründig, bildhaft und immer wieder hoch poetisch – wenn er etwa das ungeheuer stimmungsvolle Bild einer nebeligen Wiener Todesnacht zeichnet. Dennoch wirkt jeder Satz ungekünstelt und präzise – selbst wenn Theussl größtenteils im heimischen Dialekt singt. Aber auch die Liedbegleitungen auf der Gitarre sind weit mehr als schmucklose Akkordgerüste – sie tragen alle Stimmungen mit und geben mit kurzen Zwischenspielen auch immer wieder einmal Gelegenheit zu Einhalt und Atemholen.

Christoph Theussls morbid-satirisches Liedgut wird in der Laudatio zum Förderpreis der Liederbestenliste mit dem Georg Kreislers oder  Ludwig Hirschs verglichen. Theussl selbst meint dazu, das störe ihn nicht. Und es gibt tatsächlich objektiv auch wenig Gründe, dagegen zu protestieren.

Während also im Vereinsheim Theussls Tonjuwelen nacheinander funkeln, entwickelt die Todesthematik nach und nach beinahe etwas Beruhigendes: Statt aller verunsichernden Ungewissheit des Lebens kündet Theussl von der Sicherheit des der  ganz gewissen Ablebens: „Wia weadn olle steabm“, trällert er in munterer Tonart eines Sommerlieds – und lässt damit alle alltäglichen Sorgen des Hörers ganz klein und nebensächlich werden. Sogar wer mit eigenen Todesnöten ringt, wird in den sinnlosen Versuchen des Aufbegehrens, etwa in der Moritat vom ungleichen Kampfe des Bauernburschen mit dem unbezwingbaren Drachen schließlich sein augenzwinkerndes Spiegelbild erkennen.

So lockt Theussls Gesang den Zuhörer zuverlässig in die Erkenntnis, mit dem eigenen Leben einen kostbaren Schatz in Händen zu halten, den es zu bergen und zu pflegen gilt. Und folglich wird das Konzert im Vereinsheim tatsächlich ein lebensbejahendes Todesprogramm. Das dank CD oder Download daheim immer wieder erlebt werden kann. Wozu hiermit allen Lebenden vor dem unausweichlichen Ende ausdrücklich angeraten wird.

P.S.: Wer nach der ersten CD des Albums vom Sterben noch nicht genug hat, der findet im Digipack eine zweite Scheibe mit der gleich von mehreren Dutzend Theussl-Freunden eingesungenen „Moritat vom reisenden Kinde“, die im Vereinsheim als Dauerzugabe mit allen anwesenden Künstlern ihren blutrünstigen Frohsinn entfaltete. Bis dann um 22 Uhr auf unbarmherzigen KVR-Erlass die Musik erstarb, das Saallicht aber ein im äußersten lebendiges Publikum enthüllte.

Lerche und Revolver: Silvester mit der Schwabinger Bürgerversammlung

Die dritte Wiederholung in Folge rechtfertigt es wohl, von so etwas wie einer Tradition zu sprechen, wenn die  Schwabinger Bürgerversammlung auch den Silvesterabend 2010/11 im Vereinsheim gestalten soll. Diesmal bekommt das Projekt den Titel „Romeo und Julia im Wilden Westen“ sowie die weit gefasste Genre-Beschreibung „Neo-Trash-Western-Eso-Musical incl. Lerche und Revolver“ verpasst. Die vielseitigen Interpretationsmöglichkeiten dieser Ankündigung sind der ganz pragmatischen Notwendigkeit geschuldet, alle diese Optionen auch tatsächlich bis zur allerletzten Minute offen zu halten.

Denn schließlich besteht das (inzwischen auch schon traditionelle) Konzept dieser Veranstaltungsreihe im Kern darin, eigentlich gar keines zu haben. So exisitiert für die etwa zweistündige Abendveranstaltung bis zuletzt nur ein knapp vierseitiges Textskelett, an dem sich die Charaktere improvisierend entlang hangeln müssen. „Wie üblich fallen Probezeit und Premiere mehr oder weniger zusammen“ schreibt dann auch die Süddeutsche Zeitung in ihrer Ankündigung ganz treffend.

Die allergrößte Unbekannte in diesem Spiel gegen alle guten Regeln des geordneten Theaterbetriebs bleibt allerdings das Publikum und dessen Reaktion auf die Bühnenanarchie mit nach unten offener Niveauskala. Nach den beiden vergangenen Jahreswechseln sollten eigentlich alle gewarnt sein. Trotzden hat Johanna Leitner, Kompetenzträgerin des Vereinsheims für Vor- und Ausverkauf auch diesmal schon wieder lange vor „Proben“-Beginn nahezu sämtliche Tickets verscherbelt. Aber vielleicht liegt das ja auch nur an dem 3-Gänge-Menü, das der Veranstalter als einzig geordnetes Element des Abends im Pauschalpreis eingeschlossen hat?

So hält sich bei mir – und auch das hat Tradition – das schmeichelhafte Gefühl, trotz meiner schwabingfernen Wohnadresse (am Hauptbahnhof über den Bahnsteig von Gleis 11 und dann durch die Ladezone der Mitropa) wieder auf die Bühne eingeladen zu werden in etwa die Waage mit der pathologischen Urangst, dort ohne Text und Ideen nackt im Rampenlicht zu stehen.

Die ersten Arbeitstreffen sind nicht wirklich angstabbauend: Der schwabinger Bürgerversammlungs-Kern aus Till Hofmann, Sven Kemmler, Michi Sailer und Moses Wolff hat mich schon vorab in Abwesenheit zum Romeo berufen. Und hat außerdem – ein noch nie dagewesenes Ereignis in der Geschichte der Versammlung – eine Frau in die Reihen aufgenommen. Was für eine, das wird mir gleich bei der ersten Begegnung in aller Dramatik klar: Marlene Morreis ist mit Energie, Austrahlung und Explosivität gesegnet wie ein Atomkraftwerk knapp vor der Kernschmelze.

Gerade frisch von der Schauspielausbildung in New York zurück, wird sie vermutlich in einigen wenigen Jahren auf dem Höhepunkt ihrer Hollywood-Karriere einen vielstelligen Dollarbetrag aufbringen, um diesen Silvesterabend aus ihrer Vita und dem kollektiven Gedächtnis tilgen zu lassen. Für den Augenblick aber ist sie per Dekret des Skripts mit mir verlobt, ein Umstand, dessen Stanislawski-gerechte Vermittlung an das Publikum einigen Überbau aus elterlichem Zwang und jugendlicher Naivität und großer Furchtlosigkeit notwendig macht.

Eine gewisse Furchtlosigkeit fordert das Unternehmen auch von allen Darstellern – immerhin sieht das Konzeptskelett vor, als Schlussbild das berühmte Kommune-1-Gruppenfoto in der Original-Kostümierung nachzustellen. Damit es vorher auch etwas auszuziehen gibt, absolvieren wir einen wundervollen Besuch im Kostümverleih, wo ich als Ergänzug zu meinem Mausgrauen Sacko (ein Relikt einer anderen Versagerrolle an der Pasinger Fabrik) noch einen Überwurf im modischen Müllsack-Schnitt bekomme, während meine Verlobte mittels eines Korsetts weiter aufgerüstet wird.

Über solchen Vorbereitungen vergehen dann auch die wenigen „Probentage“ wie im Fluge und ehe wir uns versehen ist auch schon Silvester und dann ist es plötzlich auch schon sehr spät und wir werden von Johanna Leitner, der Beauftragen des Vereinsheims für elementare Struktur und Ordnung (BeSO) auf die Bühne gejagdt.

Dort dürfen die Dalton-Brüder zunächst einzeln etwas Selbstdarstellung betreiben. Dank meiner mangels Probe unverbrauchten Ahnungslosigkeit kann auch ich mich dabei noch trefflich amüsieren, besonders über Sven Kemmler als Sartre-affinen Pistolero. Doch dann beginnt die Interaktion der Figuren, die in weiten Strecken von einer dadistisch anmutenden Grundsatzdebatte der Trias Sex, Drogen und Rock’nRoll geprägt ist.

Ich komme der schriftlich niedergelegten Anweisung, meiner die freie Liebe predigenden Verlobten impertinent mit der Sehnsucht nach einem monogamen, bauspar-finanzierten Reihenhaus nachzusteigen, so lange konsequent nach, bis Julia den Revolver als letztes Mittel zum Baustop begreift. Was anschließend geschieht, lässt sich bei mir nur noch fragmentarisch aus dem Gedächtnis abrufen. Wir halten uns aber nach bestem Wissen und Gewissen an die einige Tage zuvor abgegebene Pressemitteilung [PDF].

Immerhin ein Teil des Gesamtkonzepts geht (beinahe, s.u.) reibungslos auf: Das Publikum, mittels Hauptspeise in eine verdauende Erduldungsstarre sediert, folgt dem diffusen Auftakt ohne Murren. Im weiteren Verlauf halten sich dann die Erosion des schlüssigen Plots und die Trunkenheit im Saal in etwa die Waage. Und schließlich endet alles im tumultartigen Jubel einer übergangslos einsetzenden Party, in deren Verlauf noch weitaus schrägere Paarungskonzepte zu beobachten sind, als vorher auf der Bühne dargestellt. Erst im Morgengrauen gelingt es Johanna Leitner (BeSO), den Saal einer (auch wirklich erforderlichen) Grundreinigung zuzuführen.

Fazit: Ich ziehe erschöpft und gezeichnet vom angetrockneten Angstschweiß, aber mit einer diffus-glücklichen Erinnerung in ein neues Jahr. Und die teilt offenbar auch das ganze Publikum.

P.S.: Das ganze Publikum? Nein, ein von unbeugsamen Bildungsbürgern bevölkerter Tisch hört nicht auf, der Erosion des Niveaus Widerstand zu leisten. Und so muss Johanna Leitner, Beauftrage des Vereinsheims für Sanftmut und Weltfrieden in den ersten Tagen des neuen Jahres doch noch eine erboste E-Mail  beantworten, in der das Ensemble unter Verweis auf Goethe und Schiller darüber aufgeklärt wird, dass der Abend trotz anderweitiger Spontanäußerungen aus dem Publikum nicht komisch und unterhaltend gewesen sei.

Wiesn-Wunden-Lecken

Veranstaltung am 06. 10. 2008 – Blickpunkt Spot Vereinsheim, München.

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Aus is! Die Zelte des Oktoberfests 2008 haben die letzten Freunde bierseeliger Gemütlichkeit ausgespien. Zeit, die Wunden aus dem zweiwöchigen Exzess zu lecken. Moderator Michi Sailer steht allen voran mit einer frisch genähten veritablen Platzwunde der Augenbraue auf der Bühne, an deren Entstehung er nur fragmentarische Erinnerung besitzt. Zusammen mit dem vom Tresenpersonal fürsorglich immer wieder frisch gefüllten Eisbeutel eine durchaus überzeugende Austaffierung für seine Schwabinger-Krawall-Geschichten.

Bevor er die erste verlesen darf, tobt als Kurzleihgabe aus dem Lustspielhaus Bülent Ceylan über die Bühne. Der spielt sehr lebendig und spontan mit den Deutsch-Türkischen-Klischeeverirrungen und legt dann noch einen furiosen „Bauchtanz“ hin. Ebenfalls mit viel Baucheinsatz setzen dann „Die Pertussis“ den Abend fort.

Moses Wolf greift dann wieder das Oktoberfest-Thema auf und gibt grantlerisch-grenzdebile Wiesn-Erinnerungen zum besten.

Ich selber habe nach acht Jahren des Wohnens im Epizentrum der Gemütlichkeit meine Lektionen gelernt (während der Festwochen im Geist um JEDEN Passanten einen Kreis mit dem Radius von dessen ausgestreckter Körperlänge ziehen und diesen weder betreten noch befahren) und bin ohne physische Blessuren davon gekommen. Dafür kann ich von türsteher-bewehrten Supermärkten und in unternehmerischer Eigeninitiative betriebenen Spontanbiergärten und Bedarfslatrinen im Oktoberfest-Erweiterungsgelände (vulgo: Vorgärten) berichten. Größte Publikumsresonanz erzeugt meine zweizeilige Spontanabrechnung als Kollateralschaden des Oktoberfestes:

Ey, ihr Bierzelt-Arschgesichter,
ihr seid dicht – doch ich bin Dichter!

Der Höhepunkt des Abends dann ganz zum Schluss: Tanztelegramm! Deren „Progressivpop im Dialekt“ (Selbstdefinition) ist melodisch eingängig und abwechslungsreich komponiert, klar und transparent abgemischt, mit musikalischer Perfektion vorgetragen – und greift im krassen Gegensatz zum üblichen Deutschpop-Brei in seinen Texten unverbrauchte Themen in origineller und poetischer Weise auf. Zu allem Überfluss scheint die Dreier-Boygroup auch noch unter allen weiblichen Gästen die Mutter- oder besser noch Schwiegermutter-Sehnsucht zu wecken. Tosender Applaus, Zwangszugabe. Allerbeste Stimmung.

Tief in der Nacht kehre ich glücklich mit dem Radl heim und freue mich auf der Hackerbrücke still daran, dass es zum ersten Mal seit zwei Wochen nicht mehr so aussieht, wie auf einem apokalyptischen Hieronymus-Bosch-Gemälde.

Leise knistert der Schaum

Veranstaltung am 28.9.2008 / Schwabinger Schaumschläger Show, Vereinsheim, München

München, Ende September: Das Oktoberfest tobt. Die Zelte sind voll. Die Lesebühnen leer.

Verena Richter und ich werden der familiären Runde vom Chef-Schaumschläger Jaromir Konecny deshalb gleich als preiswerte Nahbereichsautoren mit niedrigen Spesensätzen angekündigt.

Michael Sailer liest anschließend einen leisen Krawall, Moses Wolf wird als dirndl-angetörnter Bierzeltzecher laut und muss dann feststellen, dass die mit Mühe bestiegene „Achterbahn“ offenbar doch Teil des MVV ist. Jaromir singt vom Föhn. Ich fluche über Automaten. Und Verena fasst mit den „Gedanken einer Erbse im Gehörgang eines Mannes, der sich aus Langeweile Hülsenfrüchte in die Ohren steckt“ in wunderbarer Weise kurz die Erkenntnistheorie von Descartes bis zum Neopragmatismus zusammen.

Von den wenigen Gästen bleiben viele noch zum Plaudern. Prima.

Bunter als das Bierzelt: Blickpunkt Spot

Veranstaltung am 22.9.2008 / Blickpunkt Spot, Vereinsheim, München

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Der erste Oktoberfest-Montag – auch der Blickpunkt scheint unter der magnetischen Anziehungskraft zu leiden, die schlecht gefüllte, aber gut abgerechnete Bierkrüge auf die Münchner zu haben scheinen. Aber so finden die Gäste im Vereinsheim einen klaren Komfort-Kontrast zum Bierzelt vor: Ein eigener Stuhl für jeden, Temperaturen unterhalb des Treibhausniveaus, kein Kondenswasserregen von der Decke … und viel bunter als die Bier-Blasmusik-Monokultur ist der Abend auch.

Alles beginnt wie gewohnt: Michael Sailer schildert in einer weiteren Geschichte aus dem „Schwabinger Krawall“ charmant die Poesie des Scheiterns.

Dann aber die erste Überraschung: der „Pinguin“. Den Darsteller habe ich vor der Vorstellung am Tresen noch als unauffällig angepassten älteren Herren kennen gelernt. Auf der Bühne aber gibt er dem Publikum detailliert Anleitung, im drögen Alltagsleben unangepasst aus der Rolle zu Fallen und führt seine wahnwitzigen Alltagsparodien dann auch gleich mit pantomischem Einsatz vor.

Meinen Überraschungshöhepunkt erlebe ich direkt dannach mit Carmela de Feo. Die hatte mir zwar lange schon als „La Signora“ unergründlich von ihrem Plakat im Vereinsheim entgegengeblickt, war so aber von mir unvorsichtiger Weise in die „weltschmerzende Toscana-Liedermacherei“ sortiert worden. Werch ein Illtum!! (E. Jandl) Über die Bühne fegt eine perfekt inszenierte akkordeonbewaffnete Chimäre aus dem Ego von Marilyn Monroe, der erotischen Ausstrahlung meiner Handarbeits-Lehrerin, der Musikalität von Astor Piazzola und dem Dialekt einer Oberhausener Frittenbude. Der in der Summe entstehende musikalisch-pornografische Ruhrpott-Brachialnarzismus ist zu allem Überfluss auch noch intelligent gestrickt, entlarvt ganz nebenbei die pseudo-erotisch überreizte Lieblosigkeit der Medienwelt und führt mit der erregten Stalker-Sehnsucht der Signora auch gleich noch den Zwiespalt der Sucht nach Berühmtheit und Begehrtheit vor.

Eine derbe Überraschung muss auch Stephan Zinner wegstecken, der eigentlich als „Zinner & Band“ angekündigt war. Der ausgebrannter Motor im PKW seines anreisenden Bassisten macht ihn spontan wieder zum Solokünstler mit Schlagzeugbegleitung. Dass er auch in dieser Teilbesetzung sofort das Publikum erobert, beweist ebenso seine darstellerische Leistung wie die humoristische und musikalische Kraft der selbst komponierten Lieder.

Dann bin ich an der Reihe, versuche die elf-nullige Rettungsaktion des amerikanischen Finanzministeriums für die armen, Not leidendenden Investmentbanken zu verstehen, gebe ein Paar Börsentips und lasse schließlich einen Wurm im Liebessturm sterben.

Martin Puntigam spurtet zum Schluss aus der Lach&Schieß herüber und berichtet aus seiner Österreichischen Heimat. wobei er virtuos mit den Grundfarben Ekel, Mitleid und Überraschung jongliert.

Dann noch freundliche Gespräche und ein Bier (als Halbe ausgeschenkt, aber vermutlich fast genau so viel drin wie in einem Maßkrug). Schön war’s.

Blickpunkt Rockt.

Veranstaltung am 8.9.2008 / Blickpunkt Spot, Vereinsheim, München

Vereinsheim-Logo Am Samstag noch banges Zittern um das Publikum – am Montag muss ich eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn schon wieder drängeln, um noch zum Blickpunkt Spot ins Vereinsheim hinein zu kommen.

Nach der rituellen Schwabinger-Krawall-Verlesung von Michi Sailer gelingt es Chris Böttcher, ein Duett von Carla Bruni und Nicolas Sarkozy ganz allein auf die Bühne zu bringen.

Dann klettert zu meiner persönlichen Freude mit Kathinka Budenkotte eine Weggefärtin des Poetry Slams auf die Bühne. Und erläutert in großen Bildern ihr Konzept des ultimativen Französichen Autorenfilms.

Julia Jahn, Vereinsheim-Bookerin und somit Barkeeperin des Blickpunkt-Kleinkunst-Cocktail-Mix hat just an diesem Abend Geburtstag. Ich stehe auf der Wunschliste; und weil sie unvorsichtiger Weise den schwarzen Panther als ihr Lieblingstier geoutet hat, darf dieser endlich einmal selbst zu Wort kommen und mit dem üblen Klischee abrechnen, dass ihm ein gewisser Rainer Maria R. vor geraumer Zeit schon angehängt hat. Moses Wolf setzt noch einen Julia-Rap obendrauf auf den Gabentisch.

Anschließend röhrt und säuselt Elli los und weckt den bis dato noch etwas verhaltenen Saal auf. Die Begeisterung – und die Styling-Verwandtschaft mit großen Teilen des Publikums – lassen vermuten, dass vor allem sie das urlaubs-untypische Gedränge im Saal zu verantworten hat.

Georg Koeniger trommelt virtuos ein Fußballspiel auf einem imaginären Schlagzeug. Den Abschluss macht Claus von Wagner mit einem Bühnen-Stopover auf dem Weg in den Scheibenwischer. Endlich wieder wirklich politisches Kabarett, das den StaatsträgerInnen mit Erinnerungen an deren unerfüllten eigenen Anspruch auf die Finger klopft, anstatt sie wie sonst so häufig nur als Klischeefiguren für überparteiischen Ulk zu benutzen. Bei alledem auch noch wirklich unbelehrend unterhaltsam, geistreich und in der Wirkung spontan – Kaktus, Beil, Stier und diverse andere Kleinkunsttrophäen sind zu Recht bei diesem Herrn abgeladen worden.

Fazit: Ein (wieder einmal) sehr bunter Abend mit gegen Ende kaum noch Luft zum Sprechen, in dem es diesmal alle Akteure ohne Gitarre etwas schwerer hatten als sonst.

Blickpunkt Spot in Urlaubsausklangstimmung

Veranstaltung am 1.9.2008 / Vereinsheim, München

Vereinsheim-Logo September – Der Sommer beginnt insgesamt zu schwächeln – und sogar der Blickpunkt Spot, bisher konditionsstarker Sommerloch-Überbrücker im Münchner Vereinsheim zeigt so etwas wie postferiale Erschöpfung: Diesmal ist es nicht ganz so voll, nicht ganz so heiß, nicht ganz so wild wie bei meinem letzten Gastspiel. Ich will eigentlich auch nur still zusehen, darf dann aber kurzfristig doch die humoristische Lücke eines Urlaubsausfalls auf der Bühne auffüllen.

Alles beginnt mit „Stargast“ Florian Schroeder, den man sich vor seinem eigenen Soloprogramm für eine Viertelstunde aus dem Lustspielhaus ausgeliehen hat. Routinierte, ansprechende Comedy – mit Politikern, aber nicht wirklich politisch.

Höhepunkt des Abends ist für mich der Auftritt von Stefan Straubinger. Der wird als bayerischer Volksmusiker angekündigt, packt dann aber mit einer Drehleier und einem Bandoneon nicht wirklich gängige Accessoires dieses Genres aus. Und fegt mit diesem Instrumentarium unter bodenständig klingenden Titeln wie „Jodler“ oder „Zwiefacher“ derart fulminant durch Rock, Jazz und Tango Nuevo, dass man darüber zu grübeln beginnt, ob Keith Richards und Astor Piazzolla nicht zumindest ein Ferienhaus in Bayern gehabt haben müssen.

Das bis dato eher noch urlaubsverkaterte Publikum ist völlig aus dem Häuschen. Moderator Hannes Ringlstetter ordnet von Amts wegen eine Zugabe an. Ich lasse mir hinterher die Drehleier erklären, ein Instrument, das ich bisher als eher behäbig jaulenden Mittelalter-Leierkasten kennen gelernt habe. Stefans Leier aber ist auch technisch im 21. Jahrhundert angekommen: Unter dem Holz verleihen Polyamid-Lager, Körperschall-Pick-up und high-tech-Kunststoffe dem Instrument seine ganz neuzeitliche Agilität und Dynamik.

Des weiteren singen Rickie Kinnen und Kathie Kleff (hintereinander und mit jeweils eigener Männerbegleitung) von der Liebe (ich bin aber unmittelbar vor meinen eigenen Auftritten für’s Sentimentale nie so richtig empfänglich). Irgendwann bin auch ich an der Reihe und Packe mit der „Stimmungsschwankung“ und „Den Butt“ kurzfristigkeitsbedingt zwei alte Schlager aus.

Blickpunkt-Institution Michael Sailer lässt anschließend gewohnt schüchtern-charmant mit stiller, aber erbarmungsloser Sprache seine Schwabinger-Krawall-Protagonisten wieder einmal in wahrlich apokalyptische Verhältnisse hineinstolpern.

Zum Abschluss rückt dann aus der Lach- und Schieß noch Martin Großmann an und teilt Tips für den Haushalt aus: Er erklärt in dramatischer Weise, wie man einen festgesaugten Tintenfisch von der Platte des heimischen Esstisches löst.

Schlussapplaus. Licht an. Alle sind irgendwie zufrieden, aber der übliche euphorische Nachspiel-Exzess bleibt aus. Die Akteure müssen durch die Bank zeitig ins Bett. Wird Zeit, dass sich alle wieder vom offenbar anstrengenden Urlauben erholen.

Blickpunkt Spot – richtig heiße Sache.

Veranstaltung am 18. 08. 2008 – Vereinsheim, München.

Are you ready to rock?Liebe Drin- und In-Seier: Vergesst das P1 und das Pacha – Münchens härteste Tür findet sich ab sofort vor dem Schwabinger Vereinsheim. Befeuert von einem der in München ubiquitären Lärmschutz-Scharmützel kommt dort nämlich (zumindest während lautstarker Programmsequenzen) garantiert gar niemand hinein. Damit nämlich auch gar kein Geräusch hinaus kommt. Endlich also auch für reiche, schöne und prominente eine Gelegeheit, sich die Nase an der Scheibe platt zu drücken.

Drinnen entwickelt sich in diesem abgeschlossenen Biotop derweil eine Atmosphäre wie in einem Dampfkochtopf ohne Sicherheitsventil. Das ist aber womöglich gar nicht so verkehrt – schließlich stehe ich mit einem bestenfalls halbgaren Kurzprogramm auf den Brettern und versuche, mit Unterstützung einer batteriebetriebenen E-Gitarre („empfohlen ab 8 Jahre“) den Grill-Archaikern am Isarufer ein musikalisches Denkmal zu setzen.

Drumherum habe ich viel Vergnügen an den anderen Akteuren des Abends, vor allem an den Pertussis, denen es zwanzig Minuten lang gelingt, den Saal in einer Ekstase aus Neugier, Überraschung und nackter Angst zu halten.

Außerdem stehen mit Silvana Prosperi und Thomas Busse von Faltsch Wagoni meine allergrößten Wortidole mit auf der Bühne. Ob es sich bei den beiden um Musiker, Sprecher oder Darsteller handelt muss in jedem Augenblick des Programms neu beantwortet werden. In einem kongenialen Zusammenspiels aus Bauchreden und Pantomime gelingt es den Wagonis dann sogar, doch noch geistreichen Saft aus der humoristisch ziemlich ausgepressten Mann/Frau-Nummer herauszuschleudern.

Das größte Kompliment aber geht an das trotz Biergarten-Pflichtwetters zahlreich angetretene Publikum, das die Begeisterung – sowie in Reihe 1-3 auch Schweiß und Tränen – mit den Akteuren teilt.