Lebensbejahendes Todesprogramm: Endlich – Lieder für alle, die noch leben
Schauspieler, Regisseur und Autor, Liedermacher, Schwabinger Schaumschläger, Performancekünstler – Christoph Theussl (oder Theußl, niemand weiß bzw. weiss das so genau) ist ein vielseitiger Schöpfer und Darsteller. Sein neues Album jedoch, dass er am 18. September im Schwabinger Vereinsheim vorstellte, hat ein ganz klar gefasstes Thema: „Endlich – Lieder für alle, die noch leben“ macht konsequent da weiter, wo Pop und Schlager sonst ebenso zuverlässig aufhören. Der anfängliche Liebesrausch und die blühende Jugend interessieren nur am Rande, in Theussls Liedern geht es um das verblühende Leben und seinen unausweichlichen Abschluss: Den Tod.
Das klingt spontan beileibe nicht nach einer beglückenden Thematik. Welche aber gerade unter den Österreichern eine lange künstlerische Tradition hat – und weil es sich dort selbst in der Todes-Heimatstadt Wien doch offensichtlich vorzüglich leben lässt, scheint die Duzfreundschaft mit Gevatter Tod womöglich doch nicht unausweichlich in Trübsal und Depression zu zwingen. Wofür der Exil-Österreicher und Charakter-Wiener Theussl mit seinem Opus dann auch einen weiteren eindrucksvollen Beweis liefert.
Denn es gibt auf der Bühne kein Jammern und Wimmer zu hören: Wer allein dem Klang von Gitarre und Theussls runder und warmer Stimme lauscht, erlebt einen bunten Reigen ausgelassener und besinnlicher Stimmungen. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern und der Wiener Charme schmeichelt. Erst beim Begreifen der Texte bricht der morbide Inhalt durch: Da wird gemeuchelt, verbrannt, verschieden, vergraben und schnell, langsam oder sogar kerngesund gestorben; die Leiche im Kofferraum des Golf GTI wird immer aufs neue entdeckt und wieder vergessen. Selbst die beiden jungen Liebenden werden schon am Abend des ersten Kusses den Blick auf das unausweichliche Ableben richten. Und als Höhepunkt wird mit fröhlicher Melodie bedauert: Der schönste Tag zum Sterben, ist leider schon vorbei.
Klar geht es bei alledem auch einmal grob und zotig zur Sache, wenn etwa zwei Katzen ihr Lebensende in der Fritteuse finden. Aber das ist mehr ein Moment des Innehaltens, denn in der Summe nimmt Theussl den Tod bei aller Heiterkeit sehr ernst und spannt große Bögen, denen zu folgen alle Aufmerksamkeit erfordert. Zumal sehr viel von Theussls Botschaft gar nicht im Ausgesprochenen, sondern im Ausgelassenen zu finden ist.
Theussls Texte sind also große Kunst: Seine Sprache ist hintergründig, bildhaft und immer wieder hoch poetisch – wenn er etwa das ungeheuer stimmungsvolle Bild einer nebeligen Wiener Todesnacht zeichnet. Dennoch wirkt jeder Satz ungekünstelt und präzise – selbst wenn Theussl größtenteils im heimischen Dialekt singt. Aber auch die Liedbegleitungen auf der Gitarre sind weit mehr als schmucklose Akkordgerüste – sie tragen alle Stimmungen mit und geben mit kurzen Zwischenspielen auch immer wieder einmal Gelegenheit zu Einhalt und Atemholen.
Christoph Theussls morbid-satirisches Liedgut wird in der Laudatio zum Förderpreis der Liederbestenliste mit dem Georg Kreislers oder Ludwig Hirschs verglichen. Theussl selbst meint dazu, das störe ihn nicht. Und es gibt tatsächlich objektiv auch wenig Gründe, dagegen zu protestieren.
Während also im Vereinsheim Theussls Tonjuwelen nacheinander funkeln, entwickelt die Todesthematik nach und nach beinahe etwas Beruhigendes: Statt aller verunsichernden Ungewissheit des Lebens kündet Theussl von der Sicherheit des der ganz gewissen Ablebens: „Wia weadn olle steabm“, trällert er in munterer Tonart eines Sommerlieds – und lässt damit alle alltäglichen Sorgen des Hörers ganz klein und nebensächlich werden. Sogar wer mit eigenen Todesnöten ringt, wird in den sinnlosen Versuchen des Aufbegehrens, etwa in der Moritat vom ungleichen Kampfe des Bauernburschen mit dem unbezwingbaren Drachen schließlich sein augenzwinkerndes Spiegelbild erkennen.
So lockt Theussls Gesang den Zuhörer zuverlässig in die Erkenntnis, mit dem eigenen Leben einen kostbaren Schatz in Händen zu halten, den es zu bergen und zu pflegen gilt. Und folglich wird das Konzert im Vereinsheim tatsächlich ein lebensbejahendes Todesprogramm. Das dank CD oder Download daheim immer wieder erlebt werden kann. Wozu hiermit allen Lebenden vor dem unausweichlichen Ende ausdrücklich angeraten wird.
P.S.: Wer nach der ersten CD des Albums vom Sterben noch nicht genug hat, der findet im Digipack eine zweite Scheibe mit der gleich von mehreren Dutzend Theussl-Freunden eingesungenen „Moritat vom reisenden Kinde“, die im Vereinsheim als Dauerzugabe mit allen anwesenden Künstlern ihren blutrünstigen Frohsinn entfaltete. Bis dann um 22 Uhr auf unbarmherzigen KVR-Erlass die Musik erstarb, das Saallicht aber ein im äußersten lebendiges Publikum enthüllte.