Veranstaltung am 20.9.2008 / Kiezmeisterschaft, München

Die Kiezmeisterschaft an jedem dritten Samstag eines Monats ist mein Slam-Jour-Fixe. Aber gerade deshalb auch mein Angstslam. Denn ich habe hier so ziemlich jede Zeile meiner gesammelten Werke schon einmal vorgetragen. Und Veranstalter Ko Bylanzky wacht eisern über das Verbot von Wiederholungen. Weshalb ich die dritten Samstagnachmittage jedes Monats regelmäßig am Schreibtisch verbringe, um dann mit einem Werk anzutreten, bei dem die Tinte noch feucht – pardon, besser: der Toner noch warm – ist. Diesmal muss ich aus Gründen des Fertigstellungstermins sogar meinen Wochenendeinkauf (Brot, Käse, Milch) mit ins Stragula nehmen – aber egal: ist ja alles für die Dichtkunst.

Slamchef Bylanzky lässt sich diesmal entschuldigen, wird aber mit Dichter Heiner Lange und Life-a-Holic Christian Bumeder (aka Bumillo) durch zwei einschlägig vorbeslammte vertreten. Die beiden machen ihre Sache gut: Energetische Anmoderationen und souveräne Abwicklung der Bewertung verschaffen jedem der zwölf Dichter eine aufmerksame Atmosphäre im zwischendurch (wiesnbedingt) etwas unruhigen Publikum.

Den ersten Höhepunkt des Abends schafft gleich am zweiten Startplatz Sonja Popp. Die junge (vermutete) Schülerin schildert ihre Erlebnisse aus Großmamas „Umerziehungslager“ zur perfekten Haus- und Ehefrau. Originell erzählt und gespickt mit den Hausfrauentips der vorletzten Generation („Siehst Du Kalk auf Fliesen sprießen, gleich mit Essig übergießen“) stellt sie ganz unaufdringlich famililäre Rollen und Abhängigkeiten zur Diskussion. Die Person auf der Bühne – ihre eigene offenbar – passt haargenau zu Rolle und Stil. Perfekt. Schade, dass die Jury am Anfang des Abends offenbar noch nicht ganz in ein konsistentes Bewertungsschema gefunden hat.

Benedikt Halkel zieht im Folgenden mit seiner stillen Poesie die Wertungen nach oben. Muss sich aber gleich Wolfgang Tischer geschlagen geben, der mit dem ganz neuen Genre der Suffix-Poesie antritt. In seiner Chat-Korrespondenz mit der Chinesischen Freundin Ling erklärt er “ … ich habe dich Lieb, Ling“, mutiert dann aber zum “ … dann werde ich wüst, Ling“.

Der Begeisterungs-Gipfel der Jury ist jedoch erst direkt nach der Pause mit Jakob Nacken erreicht. Der dekliniert nachts im Bett aus Anlass seines unter der schlafenden Freundin eingeschlafenen Arms sämtliche großen Fragen der Paarbeziehung durch. Denkt, spricht und agiert dabei so überzeugend authentisch wie es sich für sein Berufsbild aus Theaterpädagogen, Darsteller und Improspieler wohl gehört. Ganz großes Theater, das den restlichen Abend nicht mehr zu toppen ist.

Im Schatten dieses Gipfels tummeln sich anschließend Sebastion Stopfer mit seiner apokalyptischen Deutschland-Science-Fiction, Christoph Kastenbauer mit der stillen, aber doch schonungslosen Betrachtung verfahrener Familienverhältnisse, Manni Eder, André Jahn – und direkt im Anschluss an Jakob auch ich selbst mit meinem Geheimtip, was nach Öl-, IT- und Immo-Krise der nächste Börsen-Hype sein wird: Gedichte (zumindest so lange, bis auch die Sprech-Blase platzt).

Für mich reicht es knapp ins Finale, wo ich als dritter gleich zum Auftakt mit Pantherversteher Rainer Maria M. abrechne. Suffix-Dichter Tischer erklärt dann deutsche Vor- und Städtenamen, ernet aber mehr entsetztes Stöhnen als Begeisterung. Freie Bahn also für Jakob, der mit einer sprachlich schönen und stark vorgetragenen Frühlingsode an das Leben die Begeisterung klar und verdient auf seiner Seite hat. Glückwunsch dem neuem Kiezmeister.

Von groeg

2 Gedanke zu “Neuer Meister für den Kiez”

Schreibe einen Kommentar zu andre jahn Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert