Lausch- und Rauschangriff

Veranstaltung am 19.9.2008 / Poetry Slam „Lauschangriff“, Augsburg

Augsburg = ausverkauft. Diese empirische Gleichung gilt trotz Ferienausklang ein weiteres Mal – und die Verhältnisse an der nur für wenige Minuten wirklich existierenden Abendkasse sind so dramatisch, dass ich um kurz vor knapp noch den mir bekannten Resten der Reservierungsliste hinterher telefoniere, damit auch ganz sicher niemand umsonst weggeschickt wird. Der von hinten bis ganz vorne gefüllte Saal ist ein angenehmer Kontrast zum Ebersberger Kulturtage-Slam, wo das Publikum sich nur als „Randgruppen“ auf den Sofas entlang der weit entfernten Saalwände lümmelte.

Nach dramatischer Anmoderation von MC Horst Thieme macht Nils Rusche den gelosten Auftakt mit einer intelligent gestrickten und schön gereimtem Verschwörungsgeschichte: Die Tauben, vorgebliche Friedensstifter, metzeln sich in Wahrheit schon seit der Arche Noah blutrünstig durch die Weltgeschichte. Im Anschluss ein Augsburger Weltschmerzmelker, der mich nicht wirklich mitreißen kann. Vermutlich auch deshalb, weil ich als geladener Gast direkt nach ihm meinem Startplatz entgegenfiebere.

Der Lauschangriff ist einer der epischen Zehn-Minuten-Slams – und davon gelockt krame ich meine Selbstbeichte als (offenbar doch nicht endgültig) geheilter Poesieabhängiger aus dem Gedächtnis. Nach dem Flop der Drei-Minuten-Rasantversion beim WDR-Poetry-Slam kommt die Acht-Minuten-Variante offenbar gut an – und macht mit reichlich Gelegenheit zur Exzentrik auch als Vortragender viel mehr Spaß. Albrecht Rau verliest anschließend noch eine große Portion Trashlyrik – dann bekomme ich genug Applauslärm für’s Finale.

Ein besonderes Phänomen ist nach der Pause Matylda. Die hält ihre dunklen und destruktiven Gedanken nicht verborgen – ich erlebe sie aber als die erste Autorin dieser Art, der dazu eine darstellerische Distanz und mitunter sogar Selbstironie gelingt. Und die damit ihre eigene Zerissenheit auch für außen stehende erahnbar werden lässt. Darüber hinaus verleiht sie mit den „Zerschmetterlingen“ selbst der Zerstörung eine sprachliche Schönheit. Ihr folgt im Kontrast die nächste Autorin mit einem Fuck-George-Doublejuh-Text, dessen ungebrochener Schwall aus Hass am Publikum ganz offenbar ohne Wirkung abperlt.

Michael Jakob– zweiter geladener Gast – fährt als dritter der Runde eine Doppelstrategie: Erst mit „Papier“ etwas neues ausprobieren, anschließend mit seiner Fragenliste einen kampferprobten Knaller hinterher – die zehn Minuten Redezeit machen es möglich. Cornelia Koepsell kommt da mit durchaus interessanten und klugen, aber (am Ende auch für die zehn Minuten) zu weit scheifenden Geschichten nicht gegen an.

So stehen sich zum Finale die beiden Auswärtsgäste gegenüber. Jetzt muss es mit jeweils nur noch drei Minuten ganz schnell gehen. Ich werde rückfällig und reime „Den Butt“ zusammen, Michael initiiert mit dem „Manifest für die Nacktheit“ auf der Bühne eine Altkleider-Sammlung. Der Manifest-Applaus ist frenetisch, der Butt-Beifall in den Ohren des MC Horst aber noch ein Hauch frenetischer. Also darf ich für alle den Schampus entkorken.

Anschließend bin ich so belauscht und berauscht, dass ich um Haaresbreite den Absprung zum letzten Zug nach München verpasse. Meine zunächst fast filmreife Flucht mit dem Taxi verliert dann aber auf dem Bahnhof aufgrund einer zehnminütigen Zugverspätung doch erheblich an Dynamik …