Einfach reich beschenkt: Luise Kinseher im Lustspielhaus

Zunächst scheint alles ganz einfach: Luise Kinseher will aussteigen, die einsame Alm in den Schweizer Alpen ist schon bezahlt. Und so erscheint sie gleich am Anfang ihres Soloprogramms Einfach Reich mit dem Bündel der Geldscheine aus der Abendkasse, um ihren Abschied zu verkünden und das Eintrittsgeld zurückzuzahlen.

Aber so einfach geht es dann doch nicht: Der unbürokratischen Rückzahlung steht plötzlich Frau Buchhalterin Rösch entgegen, die als Fleischwerdung der Kinseherschen Krämerseele erst einmal vorab eine steuerwirksame Quittung von jedem Gast einfordert. Sich aber dabei sofort mit der shopping-affinen Frau Lachner aus dem Marketing überwirft. Dann platzt auch noch die gealterte Diva Frese in die Runde, um die Führung einer ökonomisch optimierten Ehe zu erläutern („Wo hat mein Heinz die Banane her? Sein Taschengeld reicht dafür nicht …“) und mittendrin krakeelt „Mary from Bavary“ herum, die der Einsamkeit genauso ab- wie dem Alkohol zugeneigt scheint.

Ein solcher Tumult aus Darstellern ist an sich schon erstaunlich für einen Soloabend. Noch erstaunlicher aber ist, dass es dazu weder Verkleidungsexzesse noch alberner Requisiten bedarf: Die Figuren enstehen mitten auf der Bühne allein aus Luise Kinsehers Mimik, Gestik und Sprache. Und zwar so instantan, dass sie sogar miteinander Dialoge führen können, ohne dass je der Faden verloren geht. Die ungeheure Präzision dieses Wechselspiels ist ganz sicher auch ein großer Verdienst der Regisseurin Beatrix Doderer.

Was den Abend aber jenseits aller darstellerischen Perfektion zum großen Ereignis macht, ist der kluge, scharfe aber doch wohlwollende Blick auf das menschliche Wesen. Denn die vielen Seelen, die wohl (ach!) in jeder Brust wohnen, sind nirgendwo alle einzeln mit ihren schwergewichtigen Bedenken in solcher Leichtigkeit zu erleben wie im Kinseherschen Kabarett.

Auf diese Weise wird das Ringen um Geld und Glück zu einem Streifzug durch die Seele jedes Zuschauers: Die schräge Damenriege ertappt nacheinander die Charakterdefizite des Betrachters und lockt ihn in den guten Vorsatz, es ab sofort viel besser machen zu wollen. Aber nur, um ihn Augenblicke später die totale Vergeblichkeit dieses Versuchs begreifen zu lassen.

So bleibt am Ende auch die Frage offen, ob die immer wieder hoch gelobten Kühe der Schweizer Alpen wirklich die besseren Menschen sind. Denn schließlich hält „Mary from Bavary“ noch ein berauscht-berauschendes Schlussplädoyer für das ganz menschliche Beisammensein. Dieses Sein scheint auch das Publikum ganz außerordentlich zu genießen. Denn im Applaus zeigt sich die große Einmütigkeit, mit den Weisheiten des Abends viel, viel besser weggekommen zu sein, als mit einem rückerstatteten Eintritt.

Auf diese Weise schnödes Geld gegen den Reichtum der Kinseherschen Klugheit einzutauschen, sei jedem Glücksucher aufs Wärmste angeraten. Wenn es ihm denn gelingt, Karten für eine der (ganz zurecht) auf Monate hinaus ausverkauften Vorstellungen zu ergattern. Aber es kann ja auch nicht alles einfach sein.

Roessl Revisited: Die Wiederauferstehung des „Weißen Rößl“ im Lustspielhaus

Das Weiße Rößl ist tot! Das schien zuletzt einhellige Meinung der deutschen Theater zu sein. Nach jahrzehntelangem Zuritt mit schwulstigen Heimatklischees, Hubschrauberknattern und Peter-Alexander-Gejodel sowie der Helmut-Kohl-Verklärung des Wolfgangsees mitsamt Christoph Schlingensiefs Badeurlaub für Arbeitslose schien das 1930 uraufgeführte Singspiel vom Salzkammergut, dem schönen Salzkammergut bestenfalls noch für Trash- und Zombie-Reiterferien zu taugen.

Erstaunlich also, dass Lustspielhaus-Regisseur Christian Lex sich für die Sommerspielzeit das Rößl vornimmt. Und noch erstaunlicher: Er nimmt das Werk ernst. Und eben deshalb nicht wörtlich. So gelingt es ihm, die Geschichte vom großem See, dem kleinem Wirtshaus, der ewigen Sehnsucht und den plötzlichen drei Hochzeiten auf gute zwei Stunden herunter zu destillieren. Und auf nur sieben Darsteller.

Aber was für welche: Für die Paraderollen hat Lex gestandene Kabarettisten gecastet, von denen jede und jeder ein Urgewächs seines jeweiligen Rössl-Biotops ist. Los geht’s mit Severin Groebner, in seinen Soloabenden Prototyp des Österreichers, der als Zahlkellner Leopold von Anfang an so raumgreifend gelassene Trägheit ausstrahlt, dass man für die trotz Premierengedränge fürsorgliche Aufmerksamkeit des passend gedirndelten Lustspielhaus-Personals an diesem Abend besonders Dankbar ist.

Ziel seiner gemächlichen, aber doch inbrünstigen Sehnsucht ist Luise Kinseher als Wirtin Josepha, in deren robuster Geschäftigkeit stets so viel großäugige Hilflosigkeit sichtbar wird, dass man Leopolds Avancen beinahe selbst mit Eifersucht begegnet.

Thomas Wenke – zuletzt Mitglied im Ensemble der Lach- und Schießgesellschaft – ist als Dr. Siedler ein überzeugend schillernder Lebemann, hat aber seine allergrößten Momente als schwerhöriger Kaiser, der im Rollator über die Bühne quietscht und die trivialen Lebensweisheiten des Singspiels so zerbrechlich austeilt, dass sie schon wieder anrühren können.

Für Leben und Lautstärke sorgt derweil Norbert Steinke. Er gibt den Berliner Totalquerulanten Giesecke mit einer Vehemenz, die auch im grantler-abgestumpften Bayern noch durchdringt. Josepha Sophia Sem reizt und neckt mit doppelbödiger Unschuld als sein Töchterchen Ottlile. Und Regisseur Christian Lex schlüpft schließlich selbst noch in die Rolle des schönen Sigismund, dessen kleine Schönheitsfehler aber bald die amüsante Frage stellen, ob er vom schüchternen Klärchen tatsächlich abgöttisch bewundert oder von ihr abgeklärt um den Finger gewickelt wird.

Zu Tempo und Unterhaltung trägt schließlich in ganz besonderer Weise Constanze Lindner bei, die in ihren beiden Rollen in geradezu chaplinesker Manier mit Armen, Beinen und Gesicht viel mehr redet als mit Ihrem forsch fordernden (Kathie) oder zuckersüß lispelndem (Klärchen) Mundwerk.

Eine im Vergleich zum Schauspiel noch dramatischere Rosskur wird im Lustspielhaus der Musik zuteil: Vom einst gigantischen Orchester (in der jüngst wiederentdeckten Originalpartitur kommen bis zu 250 Musiker vor) bleiben in der Bearbeitung von Stefan Dettl (LaBrassBanda) und Hans Kröll grade mal drei Blechbläser übrig. Die aber als Trio dennoch jede Nuance der Musik treffen und sich dabei weit aus dem volksmusikalischen bis in den Jazz und den Swing hinauswagen.

So ist dank dem konsequent umgesetzten Arbeitsmotto „wenig Aufwand, viele Ideen“ alles zu sehen und zu hören, was ein lebendiges Rössl ausmacht: Die Ohrwurm-Musik aller Rössl-Schlager ebenso wie das Gewitter überm Wolfgangsee, sämtliche amourösen Verwicklungen, den Kaiser selbst und in der Summe einen ganzen Abend lang kurzweilig intelligente Unterhaltung.

Allein mit dem Ton hatte die Premiere mitunter noch zu kämpfen. Die Mischung der auch unverstärkt sehr präsenten Bläser mit dem Gesang war gerade vorn im Saal mitunter unausgewogen. Vermutlich vor allem ein technisches Problem, denn hin und wieder blieben einzelne Darsteller ganz ohne Verstärkung.

Dass es nach der Pause im Ensemble ein Wenig menschelte und die Darsteller spontan liegengebliebene Requisiten verräumten, miteinander über den richtigen Text debattierten oder auch einen zweiten Anlauf in eine Musiknummer einforderten, das konnte am Premierenabend die Begeisterung des Publikums nur noch mehr anfachen. So gab es einen klanglich mehr als befriedigenden Schlussapplaus, in dessen nicht enden wollendem Getöse Constanze Lindner mit einer feinen Nuance zum Publikumsliebling gekürt wurde.

Womit also bewiesen wäre: Das Rößl lebt, es ist sogar quietschlebendig. Es muss nur frisch aufgezäumt und mit Hingabe, aber ohne Pomp und Pathos vorgeführt werden. Weitere Ausritte gibt es bis zum 14.8.2010 jeweils dienstags bis samstags. Ein Besuch wird empfohlen.

Physi-Kabarett: „Science Busters“

Veranstaltung am 11.9.2008 / Science Busters, Lustspielhaus, München
Schaltplan Funkeninduktor
Endlich, endlich, verschaft einmal jemand meinem Studienfach seinen Platz auf der Bühne. Physikalisches „Edutainment“ hat sich das Wiener Trio der „Science Busters“ auf die Fahnen geschrieben. Und sich als Thema des Abends – schon des Datums wegen – die Verschwörungstheorien vorgenommen.

Die Besetzung verspricht Kompetenz in Unterhaltung und in Physik: Denn mit Martin Puntigam tritt ein vielfach ausgezeichneter Kabarettist auf die Bühne, dem mit Professor Heinz Oberhummer und Univ. Lekt. Werner Gruber zwei echte Physik-Dozenten der Wiener Universitäten zur Seite stehen. In dieser Echtheit liegt aber auch das große Problem des Abends: Die beiden Wissenschaftler sind nämlich auf der Bühne genauso echt wie im Hörsaal. Der konzeptionelle Unterschied zu einer gewöhnlichen Vorlesung besteht also nur in Puntigam, der als Moderator den Abend vorwärts treibt und den Dozenten mit bösen Fragen und spitzen Kommentaren in die Paraden fährt.

In vorlesungsbewährter Weise bewegen sich alle drei zwischen Leinwand, Pult und Experimentiertisch. Manchmal gelingen dort experimentelle Geniestreiche, wenn etwa Gruber mittels Sand, Papp-Astronauten und dem Theaterlicht beweist, dass auch im Sonnenlicht nicht alle Schatten gleich sind – und so in der Sandkiste eine der impertinentesten Verschwörungstheorien zur Mondlandung der Amerikaner widerlegt.

In anderen Augenblicken aber wird großer Aufwand mit wenig Wirkung betrieben – z.B. indem in einer infernalisch lauten Filmeinspielung der nackte Arnold Schwarzenegger als Muster-Außerirdischer über die Leinwand grunzt. Entsprechend unterschiedlich bleibt der Lerneffekt: Einiges ist auch für unvorbelastete Beobachter zu verstehen, andere Themen sind so gewählt, dass sie in einem Atemzug auch gar nicht verständlich zu erklären sind. Und manches ist auch nur als Schock- und Ekel-Effekthascherei zu begreifen.

Nach den Maßstäben der Unterhaltung beginnt irgendwann die Beweglichkeit und Wandelbarkeit der Figuren zu fehlen. Gruber doziert stets raumgreifend, Puntigam spöttelt unentwegt und Oberhummer hält sich mit klugen, aber seltenen Beiträgen sehr im Hintergrund. Das ist schade, denn eigentlich böten die häufig diametralen Weltsichten von Physikern und „normalen Menschen“ reichlich Gelegenheit, Konflikte auszutragen.

So werden die behandelten Verschwörungstheorien vom Blutwunder über den 11. Sptember bis zur Auslösung des Weltuntergangs im CERN nur von ihrer technischen Seite betrachtet. Ihr schillerndes Wechselspiel aus wissenschaftlicher Ahnungslosigkeit und menschlichen Urängsten bleibt weitestgehend außen vor. Auch der Umstand, dass sich mit Oberhummer ein Theoretiker und mit Gruber ein Experimentator gegenüberstehen und sich diese Spezies in freier Physiker-Wildbahn stets höchst skeptisch als „substanzlose Spinner“ bzw. „ideenlose Klempner“ betrachten, wird nur am Rande thematisiert.

Nachdem sich Rauch und Flammen der Schlussnummer verzogen haben, gibt es vom Publikum – in dem diesmal erstaunlich viele blässliche Brillenträger zu finden sind – einen sehr dankbaren Applaus. Physik und Unterhaltung müssen sich also doch nicht abstoßen wie zwei gleich geladene Teilchen. Womöglich könnten beide Disziplinen aber noch von interessanteren Bühnenfiguren, einem didaktischen Konzept und einer stärkeren Verflechtung mit dem „unwissenschaftlichen Denken“ profitieren.

Power to the Bergbauer: Der Watzmann ruft

Der Watzmann ruft„Hollaröhdulliöh!“ Der Watzmann ruft. Mich einmal wieder als Zuschauer ins Lustspielhaus, wo das „Rustical“ um besagten Berg derzeit auf dem Spielplan steht.

Was passiert? Berg (steil) ruft. Männer (geil) hören, kraxeln und sterben. Das wäre als bekannter Tatbestand zahlloser Heimatfilme nicht weiter neu – wenn nicht das Komponistentrio Wolfgang Ambros, Manfred Tauchen und Joesi Prokopetz genau dieses Genre mit Lachsalven unter Feuer nehmen und mit böser Ironie querbeet durch das gebirgige Brauchtumsklischee klettern würden.

So geht am Berghang eine Lawine sämtlicher einschlägigen Schicksals-, Romantik- und Naturstereotypen ab, in deren Verlauf die Besteigungsgelüste der Berganwohner durch die unzweideutige Ankündigung der üppigen „Gailtalerin“, jeden Watzmannbezwinger auch auf ihren weiblichen Gipfeln jodeln zu lassen noch weiter befeuert werden. Keine guten Überlebenschancen also für die von Berg und Busen getriebenen.

Komponist Tauchen steht selbst noch mitten im Spektakel und spielt in mehren Rock- und Lederhosenrollen furios sein Spektrum absurder Figuren aus. Ihm zur Seite steht – abwechselnd als Sohnemann und Liebhaber – Nepo Fitz als Bua, den er bravourös als naiv-eitelen Strahlemann untergehen lässt. Begleitend tanzt drumherum ein beinahe unterfordert erscheinendes Mägdtetrio ein freizügig modernisiertes Volkstanzprogramm und Hannes Ringlstetter lässt als singender Knecht erahnen was herauskäme, wenn man Mick Jagger mit multiplem Discusprolaps in einen Hühnerstall sperren würde.

Gegenüber der von mir vor Jahren besuchten Vorgänger-Inszenierung haben die neuen Bergbesinger vor allem in Punkto musikalischer Perfektion noch einmal zugelegt. Zu sehen gibt es jetzt eine sympathisch handgreifliche Inszenierung, bei der sich das Ensemble dennoch singend und spielend stets auf hohem Niveau bewegt. Das zweistündige Bergspektakel vor der Caspar-David-Friedrich-Fototapete hat vom Live-Rock der vierköpfigen Hühnerband bis zum Cancan des Dirndlballets alles, was ein Musical braucht – und ist dann aber eben doch keins.

Das Publikum darf als Echo und als Bergpanorama mitwirken und hat bei allem ganz großes Vergnügen – und zwar ohne den anschließenden Kulturkater seicht-schwulstiger Musicals. Ein Ereignis also, das auch ohne seinen selbstverständlichen Kultstatus einen Besuch wert wäre.