Bänkelsänger 2008
Veranstaltung am 13.9.2008 / Anderart-Festival, Odeonsplatz, München
„Typisch München? Typisch anders!“ Das „AnderArt-Festival“ soll im Rahmen des Münchner Stadtgeburtstags auf dem Odeonsplatz eine Open-Air-Bühne für die kulturelle Vielfalt der Stadt bieten. Auch die Slam-Poesie soll da ein paar Gedanken zu Stadtgeschichte und Migration beitragen.
„Bei freiem Eintritt und bei jedem Wetter“ – das waren dabei die beiden wichtigsten Werbeargumente des Münchner Kulturreferats. Leider erweist sicht nur das erste als wirklich zugkräftig. Der Münchner Sommer verweigert sich nämlich ebenso plötzlich wie vollständig und katapultiert die gefühlte Jahreszeit auf etwa Ende Oktober nach vorn. Die riesengroße offene Bühne tut das ihre dazu: „Poesie im Gefrierfach“ wäre ein passender Konzept-Titel gewesen. Die Veranstalter haben sich aber entschlossen, das einstündige Slam-Poetry-Programm unter dem Arbeitstitel „Bänkelsänger 2008“ anzukündigen.
DJ Rayl Patzak und MC Ko Bylanzky leisten folglich erst einmal ein wenig Aufklärungsarbeit. Anschließend wird Sturm-und-Slam-Dichter Bumillo losgelassen, der wortgewaltig erklärt, wie die Zuagroasten an München erst erstaunen, dann verzweifeln und schließlich aber doch ankommen können. Unglaublich, wie viele Ideen aus diesem erklärten „Live-a-holic“ heraussprudeln. Vor allem, wenn man bedenkt, dass er gegenwärtig auch an seiner Magisterarbeit im Fach Theaterwissenschaften schreibt. Ich würde da innerhalb kürzester Zeit in der Wortschatz-Erschöpfung steckenbleiben.
Dann darf ich ran. Die Aussicht von der Bühne direkt vor der Feldherrnhalle auf die Leopoldstraße ist atemberaubend. Ich bekomme irgendwann doch wieder Luft und trage zunächst mit „Der letzte Freie“ meine Ballade über die Mikromigartion der Einkaufspendler und deren Verdrängungswettbewerb um den letzten freien Parkplatz am Stachus vor. Es folgt die Beziehungsbilanz mit meiner Freundin München. Zum Schluss muss der Laubbläser ran, der dank reichlicher Verstärkung auf dem Odeonsplatz eine ungeheure Akustik entwickelt.
Dritter in der Bänkelsänger-2008-Runde ist Heiner Lange; der wird zunächst „Der kleine Dichter, der die Stadt schön machen will“, um dann als „Backpacker“ mit den globetrotteligen Rucksacktouristen der Lonely-Planet-Sekte abzurechnen.
Als besonderes Kunst-Crossover-Konzept tobt sich Graffiti-Künstler Robert Kaltenhäuser während der Performances live mit der Spraydose auf der Bühne aus. Eine – wie sich schnell herausstellt – grandiose Idee, denn zum einen hilft die großflächige Malerei, den gigantisch großen Bühnenraum zu füllen, in dem ein einzelner Poet sonst schnell verloren wirken würde. Vor allem aber hat sich Robert mit ebenso viel Aufwand wie Ideen auf die Texte vorbereitet. So zaubert er neben seinen spontanen Formen auch vorbereitete Elemente auf die Leinwand. Bumillo bekommt eine übergroße „Süddeutsche Zeitung“, die genau in der Choreografie seines Textes aufgeblättert wird. Bei mir gibt es eine fast schon daumenkinoartige Laubbläser-Bildfolge, von der hinterher das ganze Publikum schwärmt. Ich selber bekomme auf der Bühne in meiner Gebläse-Verrohung leider überhaupt nichts davon mit.
Kongeniales Meisterstück der Wortmalerei wird aber zum Schluss die Lange-Kaltenhäuser-Performance von „Mal mal“ – Heiner Langes dadaistische Annäherung an die Bob-Ross-Malerei, in deren Verlauf jedes der Bilder aus dem Text Sekunden später auf der Leinwand zu sehen ist.
Es gibt einen netten Ausklang bei aus öffentlichen Mitteln subventioniertem Bier inmitten des wirklich multikulturellen Ambientes aus asiatischem Essen, italienischer Architektur, afrikanischen Rhythmen und sibirischem Klima. Vielen Dank also an das Kulturreferat als Veranstalter und an dessen hauseigene Techniker für eine ganz außergewöhnlich poesietaugliche Großbeschallung – vor allem aber an das frost- und wasserabweisende Publikum.