Endlich: Sven Kemmlers große Beglückung

Veranstaltung am 16.9.2008 / Lach- und Schieß-Gesellschaft

Sven Kemmler: Endlich

… irgendwann muss es doch endlich gelingen, glücklich zu sein?! Sven Kemmler stellt sich in seinem zweiten Kabarett-Soloprogramm „Endlich“ einer ganz großen Aufgabe: Er will beweisen, dass das Glück erlernbar ist. Die freundlich begrüßten „Seminarteilnehmer“ in der Lach&Schieß bekommen zu diesem Zweck auch gleich einen minutiös festgelegten Flipchart-Fahrplan präsentiert.

Den soll zunächst der kitteltragende „Experte“ abarbeiten, der mit forscher Selbstgewissheit antritt, sich dann aber schnell immer hoffnungsloser zwischen Hausfrauenweisheiten und der Quantenmechanik verheddert. Den Kontrast dazu bildet die ins Diktiergerät reflektierte Lebensbeichte eines Auftragskillers, der bei aller abstoßender Zynik doch Sympathie weckt, weil zumindest er offenbar etwas von dem versteht, was er tut.

Als Reaktion auf eine verpatzte telefonische Menübestellung springt dann noch ein säbelschwingender Sushi-Samurai auf die Bühne. Und demontiert furios die ach so populäre Glücksuche in der verklärten (weil nicht verstandenen) Exotik, indem er mit außuferndem Pathos einen Heldenmythos zelebriert, der sich bei genauem Hinhören als die Geschichte vom Räuber Hotzenplotz herausstellt.

Im sich virtuos immer weiter steigernden Tumult ist doch immer klarer zu erkennen, dass Sven Kemmler den neurotische Empathie-Eunuchen, den herzlosen Lebensbeender und den heldenmütigen Kasperle-Verklärer in ihrem verzweifelten Scheitern klug auf ein ein großes Ziel hin steuert: Alle drei hauen bei ihren Versuchen, das Glück in Worten und Bildern fest zu nageln so oft von allen Seiten virtuos daneben, dass inmitten des zertrampelten Terrains schließlich eine Silhouette des Glücks stehen bleibt, die jeder Betrachter mit seinen ganz eigenen Vorstellungen füllen kann.

Von der Bühne spühen derweil unentwegt Wortwitz und Ideen in solchem Tempo, dass mitunter kaum noch Platz für das Gelächter bleibt. Und zwischendrinn sogar eine zarte Poesie, in der endlich eben auch als Vergänglichkeit begreifbar wird.

Neben inhaltlicher Stärke hat Endlich auch dramatische Qualität: Die Figuren sind interessant gestaltet, differenziert dargestellt, entwickeln sich und werden im Verlauf des Abends immer stärker miteinander verwoben. Bühnenbild, Licht, Musik und Requisiten sind sparsam, aber bewusst und wirkungsvoll eingesetzt.

Das alles ist sicher auch ein Verdienst von Eva-Katrin Herrmann (bitte nicht mit der fast namensgleichen dogmatischen Herd-Hüterin zu verwechseln), die nach langer Karriere als Schauspielerin in diesem Programm ihr Regie-Debut gibt.

Gemeinsam gelingt es Kemmler und Hermann also, das große Thema Glück zwischen brachialen Figuren doch ganz zärtlich und poetisch in die Zange zu nehmen. Das ist ebenso klug wie komisch – und macht ganz augenscheinlich das Publikum weit über das Ende der Vorstellung hinaus glücklich. Quod erat demonstrandum.

Poesie im spielfreien Rundlauf

Veranstaltung am 14.9.2008 / Schweinfurter Dichter-Schlachtschüssel

Torpedo-Dreigang

Schweinfurt. Da denkt der Herr Ingenieur doch sofort an weich schnurrende Kugellager in der ewigkeitserprobten Torpedo-Nabe. Mich aber lockt diesmal der Open-Air-Poetry-Slam der Dichter-Schlachtschüssel in die Fränkische Tüftlermetropole.

Auch Schüssel-Chef Manfred Manger hat so einiges auszutüfteln, denn am aus dem Juli in den September verschobenen Slamtermin leuchtet zwar die Abendsonne, bringt aber draußen vor dem Ebracher Hof keine auch nur annähernd zum Stillsitzen taugliche Temeratur mehr zustande. So wird das Schüsselschlachten in die eher gediegen wirkende Gaststube verlegt, wo sich das Publikum architekturbeding vor, seitlich, hinter und unter dem Sprecherplatz arrangiert, der zudem nach vorn durch ein Balkongeländer abgezäunt ist. Auch dass hinter dem Mikrofon ein mannshoher Sparkassen-Sponsorenwimpel flattert und auf den Tischen O2-Bonbons liegen ist in der sonst kommerzallergischen Slam-Welt eher ungewöhnlich.

Um halb neun haben sich vor dieser Kulisse schließlich sieben Dichter und ein etwa vierzigköpfiges Publikum versammelt, in dem die gut trainierte Schüler-Slam-Szene den Ton angibt.

Leider sind die auswärtigen Poeten ebenso unberechenbar wie das Wetter; eine ganze Reihe sagt kurzfristig ab oder tritt ohne Nachricht nicht an. Ein Glück also, dass Christian Ritter sich auf der Reise zwischen Würzburg und Bamberg zu einem Slam-Stopover überreden lässt. Ob dieses Spontaneinsatzes ohne gedruckten Text unterwegs, darf er mit dem Notebook auf die Bühne.

Michael Feindler schafft dann gleich in der ersten Runde den Dichter-Hattrick: (1) Unverbrauchte, tragfähige Themen in (2) geschliffener Sprache – und zwar (3) lebendig vorgetragen. Das Publikum kreuzt per Stimmzettel Michael und mich ins Finale, wo sich aus der zweiten Runde noch Dauerfinalist Ritter und das Schweinfurter Team „Top 2“ hinzugesellen. Als dann schließlich das Publikum kleine Porzellanschweine austeilt, machen die Vertreter der ersten Lebenshälfte die Sache unter sich aus und Michael reckt verdient die goldene Schüssel zum überdachten Dichterhimmel.

Alles in allem ein Poetry Slam wie ein gutes Kugellager: Auch unter Belastung rund (aber nicht heiß) laufend, ein bisschen geschmiert und durch gute Pflege sehr dauerhaft.

Ich erlebe am nächsten Morgen um sechs dann doch noch ein weiteres Mal fränkische Präzision, als meine Rückreise trotz knapper Transfertoleranzen zwischen Bus, Regionalzug und ICE präzise so abläuft, wie am Abend zuvor vom Computer prophezeit.